Fluchtgeschichten

Die Fluchtberichte, die aus unseren Interviews mit Verwandten und Bekannten entstanden sind, findet ihr hier.

Viel Spaß beim Lesen!

 

Zwischen Schweidnitz und Brake liegen 750km voll von Gefahren für ein kleines Mädchen. Eine Geschichte über Flucht und über die Willkommenskultur in der neuen Heimat.

Familiengeschichte Angelika Schumacher, geb. Bittner. 15.02.1931

Von Henrike Bittner

Ich lebte mit meinen Eltern und einigen Geschwistern in Schweidnitz in einem Einfamilienhaus, damals gehörte das zu Schlesien. Heute ist das Polen. Ich habe 18 Geschwister und bin die Drittjüngste. „Lieber eins auf dem Kissen, als auf dem Gewissen“, pflegte meine Mutter zu sagen. Das erste Kind wurde 1906 geboren und das Letzte 1935. Dafür bekam sie das Mutterkreuz verliehen.

In den Kriegswirren, in diesen unsäglich chaotischen Zeiten, waren wir alle verstreut. Wir Jüngsten waren nicht mal alle zusammen. Es waren welche arbeiten, in ganz Deutschland verstreut, bei Soldaten in Gefangenschaft. Ein paar waren auch schon gefallen, zum Schluss waren es vier. Gestorben für Führer, Volk und Vaterland.

Die ersten Flüchtlinge kamen damals zu uns aus Oberschlesien. Die mussten eher weg als wir, da sie direkt an Polen waren. Wir hatten auch eine Familie bei uns zu Hause, aber nur kurz. Die wollten weiter und sagten uns, wir müssten auch noch weg. Das war mein erstes Erlebnis mit Flüchtlingen. Ich war 13.

Wir sind dann evakuiert worden, weil die Front schon in Breslau war. Keine 60 Kilometer von uns entfernt. Wir haben Kanonendonner und Schießen gehört. Das war genau der 15. Februar 1945, mein 14. Geburtstag. Es war eiskalt, es lag viel Schnee und Eis und wir wurden mit offenen Güterwaggons ins Sudetenland gebracht, 500 Kilometer von unserer Heimat entfernt. Wir waren eine große Gruppe, da viele Geschwister mit Familie nach Hause gekommen sind oder Schwägerinnen und Schwestern, da deren Männer im Krieg waren. In Braunau wurden wir ausgeladen und kamen in ein leergeräumtes Gefangenenlager und konnten dort auf dem Fußboden schlafen. Unser Vater war nicht dabei. Er war Eisenbahner und es fuhren noch Züge, deshalb durfte er nicht weg.

Als ich einmal rausging mit meiner älteren Schwester Annemarie, kam ein Trupp deutscher Soldaten vorbei, die durch den Ort marschierten. Wir sind in diesem Lager, in das wir reingestopft wurden, vergessen worden. Sie hat den Soldaten, der vorne wegmarschiert ist, gefragt, ob er uns helfen kann, da sich niemand um uns kümmert. Der Soldat sagte: „Wenn Sie nicht sofort zur Seite gehen, stell‘ ich Sie an die Wand!“.

Wir sind auf eigene Faust abgehauen, es fuhren noch Züge. Meine jüngeren Geschwister Helga und Hermann wurden zu Verwandten ins Glatzer Bergland gebracht. Ich wurde von meiner Mutter und Annemarie zu Verwandten nach Schönthal bei Mittelwalde gebracht. Ich habe erlebt wie die Russen in Schönthal einmarschierten. Die haben gehaust wie die Schweine, wie die Barbaren.

Im Juni habe ich es da oben nicht mehr ausgehalten, da ich nichts von zu Hause gehört hatte. Die Mutter meiner Schwägerin sagte nur: „Ja Madle, das kannst doch nicht machen, da sind überall die Russen.“ Aber ich wollte unbedingt nach Hause und sie hat sich erweichen lassen und mir ein paar Pakete Brote geschmiert und gesagt, ich solle gut auf mich aufpassen. Da bin ich losmarschiert. Außer den Broten hatte ich kein Gepäck bei mir. Irgendwo habe ich einen Zug erwischt, aber dann musste ich wieder laufen. Ich war jedoch nie allein auf meiner Reise. Die restlichen Menschen in Deutschland waren alle unterwegs, alle wollten nach Hause. Ich habe mich Familien angeschlossen. Die Nächte haben wir meistens in leerstehenden Gaststätten verbracht. Ich bin immer gleich hinter die große Tür und habe mich da versteckt. Ich war nicht groß, hingekauert habe ich mich da. Wenn die Russen kommen sollten, würde die Tür nach innen aufgehen und ich steckte da hinter und wäre sicher. Drei Tage war ich unterwegs, dann war ich wieder zu Hause in Schweidnitz. Mutter und Vater waren überrascht mich zu sehen. Denen ging es auch nicht gut, die Russen waren schon da und hatten das Haus durchwühlt. Vater hat meine Sachen dann irgendwann aus Schönthal geholt. Als er mit dem Zug nach Hause fahren wollte, wurde er von Polen überfallen und verhauen. Der Koffer war weg. Wir waren Freiwild.

In Schweidnitz musste ich arbeiten, es gab viel zu tun. Es gab Laufmelder, Deutsche, die überall in die Häuser gingen und guckten, ob noch Leute da sind, und ob junge Deerns da sind, die mithelfen können. Wir mussten bei den Russen aufräumen. Heidi und ich waren einmal dabei aufzuräumen, als wir merkten, wie die Russen um uns herumschlichen. Da kam einer mit einer Wodkaflasche und Gläsern in das Zimmer. Er wollte anstoßen und sich an uns ranmachen. Wir sagten, wir trinken keinen Schnaps. Dann ging er nochmal nach nebenan. In der Zeit haben wir schnell das Fenster aufgemacht und sind rausgesprungen. Heidi hatte sich den Fuß verknackst, aber wir haben zugesehen, dass wir wegkommen.

Ein anderes Mal kam wieder ein Laufmelder. In der Stadt wollte ein Pole ein Geschäft aufmachen und die Wohnung beziehen, die ganz verwüstet war. Ich sollte dort allein aufräumen. Irgendwann musste ich zur Toilette und bei diesen großen Mietshäusern waren die Toiletten auf dem Flur, aber ich war eingesperrt. Der Fußboden lag voll Geschirr, Töpfe, Pfannen… da habe ich mir irgendeinen Topf gesucht und habe das mit all dem Zeug aus dem Fenster in den Hof geschmissen. Gegen Abend kam der Pole und er brachte Abendbrot mit. Und einen Schnaps. Ich war 15. So wie der Schnaps unten war, habe ich gekotzt, ihm vor die Füße. Und was hat der gemacht? Der hat mich bedrängt und gesagt, er will mich heiraten. „Weißt du wie alt ich bin?! Ich bin 15! Mit 15 heirate ich nicht!“ Es wurde dunkel, es war schon nach 22 Uhr und wir Deutschen hatten Ausgangssperre nach 22 Uhr. Ich habe den Mann angebrüllt, ganz laut: „Tür auf!“. Wie ich nach Hause kam, war Vater ganz erschrocken, aber eher konnte ich nicht weg, ich war doch eingeschlossen.

Die Vertreibung fand schließlich per Mundpropaganda statt. Es wurde gesagt, wir müssen weg. Dann hieß es, wir können bleiben, weil der Ami kommt und die Russen raus jagt. Wir haben auf den Ami gewartet, der kam aber nicht. Annemarie wollte mich und Helga nach Sachsen zu einer anderen Schwester bringen. Das war unsere Flucht über die erste grüne Grenze. Wir sind Schleichwege gegangen, meist Feldwege und Wälder, mit so einem Wäschekorb auf Rädern, wo unsere Habseligkeiten drin waren. In einem Wald standen plötzlich Russen vor uns. Sie drohten uns. Wir wurden durchsucht und beklaut. Ich hatte ein Buch über Hollywood-Schauspieler dabei und eine kleine Puppe. Beides war weg. Für mich war das was. Dann haben die uns in ein leeres Haus gesperrt. Wir schliefen auf dem Boden und als wir am anderen Morgen merkten, von denen ist gar nichts mehr zu hören und zu sehen, sind wir da schnell raus. Wir sind weitergelaufen, bis wir einen Bahnhof fanden. An der Grenze von der Sowjetzone in die Englische Zone sind wir durch die Meißel, zu Fuß. Unsere Sachen hochgehalten und durch. Ach, das klingt alles so, als würde das flott hintereinandergehen, aber es ging nicht flott. Es hat immer Tage und Nächte gedauert.

Von dort sind wir dann mit dem Zug nach Hannover gefahren. Von Hannover sind wir weiter nach Niederort. Hannover war ein großer Sammelpunkt und die Züge waren immer voll. Man hat nie einen Platz zum Sitzen bekommen. Im Zug stand ich angelehnt und alles war voll und ich bin umgekippt und habe geschlafen, bis wieder eine große Haltestelle kam und wir umsteigen mussten. Ich habe nicht gedacht und nicht gegrübelt. Ich war einfach nur müde. Total erschöpft. Denken, was wird und wohin man kommt? Nein. Man wusste doch gar nichts. Man konnte nur warten, was kommt. Und es kam auch nichts Gutes.

So sind wir hier hergekommen. Annemarie mit uns, über zwei grüne Grenzen. Das war nicht „in den Zug steigen und los“. Es waren viele Deutsche unterwegs, ganz Deutschland war wohl auf den Beinen. Man fragte sich überall so durch und dann ging das. Große Katastrophen haben wir nicht erlebt, das kann ich sagen. Die Deutschen haben sich alle gegenseitig geholfen. Wir waren alle irgendwie am Boden und waren froh, wenn wir wieder irgendwo ankamen. Und dann waren wir hier. Vater, Mutter, Hermann, Heidi und Maria waren mit dem Güterzug hergebracht worden. In Brake sind sie ausgestiegen und wurden verteilt. Einheimische standen auf dem Bahnhof, und die sollten sich Flüchtlinge aussuchen, die sie mit nach Hause nehmen wollten. Wir wurden nach Niederort gebracht. Hier gab es überhaupt keine Willkommenskultur, im Gegenteil. Uns hätte man am liebsten wieder weggescheucht, obwohl wir Vertriebene waren. „Du bist nichts wert, du bist gar nichts. Du bist ja nur ’ne Deutsche. Musst froh sein, wenn sie dich nicht gerade umlegen.“ So war es. Wir waren nur Deutsche. Die Menschen hier, die waren alle gegen uns. Den Krieg hatten nur wir verloren. Die Menschen hier nicht. Die waren zu Hause geblieben und wir mussten unsere Heimat weggeben, die wurde verschenkt. Also hatten wir doch auch den Krieg verloren.

Wir kamen auf einen großen Bauernhof. Die wollten uns ebenso nicht, wir wurden zugeteilt. Unten waren zwei Flüchtlingsfamilien und wir kamen nach oben auf den Getreideboden. Der lag voll Getreide. Da liefen auch Mäuse rum, mitunter auch Ratten. Leitungswasser war unten bei der Bäuerin in der Küche. Das war für uns aber strengstens verboten. Wir haben uns in dem Raum, in dem wir lebten, eine Ecke mit einer Wolldecke abgeteilt, hinter der hatten wir unsere Waschschüssel. Das Wasser, das hat unser Vater aus dem Graben geholt und er hat im Stall eine Reinigungsanlage gebaut. Man kann Wasser reinigen, aber es dauert lange. Er hat sich die Anlage gebaut und eh dann so ein Eimer durch das Tropffass sauber war, dauerte es mindestens ein bis zwei Stunden. Er war ja auch schon alt und dann hat er mal eine ganze Zeit dabei gestanden, ist aber auch mal nach oben gegangen und hat sich hingesetzt. Wenn er dann wieder runterkam, lag Kuhscheiße in dem sauberen Eimer.

Weil Vater Eisenbahner war, hatte Mutter die Uniform mitgebracht und weil er 63 war, ist er hier von Bahnhof zu Bahnhof gegangen und hat gefragt, ob ihn jemand gebrauchen kann. Das war aber nicht so und unsere Mutter hat die Uniform draußen an die Leine gehängt zum Lüften und als sie die dann später wieder reinholen wollte, da war sie voll Kuhscheiße.

In der Zeit, in der wir dort lebten, konnten wir nicht alle zu Hause bleiben. Wir mussten auch arbeiten, sonst wären wir verhungert. Ich war viel in der Landwirtschaft, habe dort gewohnt, gearbeitet und habe da auch immer zu Essen bekommen. Als ich es satt hatte in der Landwirtschaft zu arbeiten, weil ich nur ausgenutzt wurde und den versprochenen Lohn nicht bekam, habe ich nach etwa einem Jahr gekündigt.

Danach habe ich drei Jahre in der Strickerei in Brake gearbeitet. Wir mussten vom Bauernhof zu Fuß zum Bahnhof nach Oberhammelwarden, den Weg sind wir singend marschiert. Im Zug nach Brake haben wir auch gesungen und vom Braker Bahnhof sind wir zu Fuß zur Kaserne, dort war die Strickerei. Wir hatten einen weiten Weg und wir waren etwa fünf Flüchtlingsmädchen. Wir hatten Stundenlohn von wenigen Groschen. Die Woche waren es vielleicht 20 Mark. Wir haben Akkord gearbeitet und wenn man gut war, dann kamen schon mal 25 Mark raus.

Meinen Alfred habe ich im Zug auf dem Weg nach Brake zur Strickerei kennengelernt. Wir sind uns oft begegnet und er war hartnäckig. Als wir irgendwann Kinder bekamen, fühlte ich mich nicht mehr als Flüchtling.

1999 waren Heidi und ich noch einmal in Schweidnitz. Das heißt nun Swidnica. Unser Haus steht noch und es wohnte eine junge Polenfamilie dort. Schlesien war sehr schön und hoch entwickelt. Ich habe meine Heimat verloren und meine Sprache, weil wir dafür in Brake gehänselt wurden. Ich war wütend darüber, aber wir haben uns still und leise angepasst und integriert und ich habe Platt gesprochen, anders ging es nicht. Brake wurde zu meiner neuen Heimat.

 

Aus der Heimat Schlesien über Tschechien nach Deutschland: Eine Flucht aus der Sicht eines 13-jährigen Jungen.

Flucht aus Breslau

Von Carolin Christoffers

Ich bin aus Schlesien bei Breslau geflohen. Das mussten wir. Wir wurden damals von der deutschen Wehrmacht angewiesen. Am 20. Januar 1945 ging es los. An dem Tag lag Schnee und es waren 20 Grad minus. Am Abend vorher wurde Bescheid gesagt, dass es am nächsten Tag um 6 Uhr in der Früh losgeht, und wer nicht mit will, der wird erschossen. „Erschießen“ war damals jedes zweite Wort. Aber wir mussten da weg, weil die Russen mit ihren Panzern von Osten kamen.

Ich komme von einem kleinen Bauernhof, deshalb hatten wir ein Gespann mit Pferden. Wir bekamen noch zwei Familien mit auf den Wagen, die kein Gespann oder ähnliches hatten. Dann fuhren wir Richtung Tschechien. Wir haben jedoch immer nur 20 bis 30 Kilometer pro Tag geschafft. Mehr konnten wir auch gar nicht schaffen, wegen der Pferde. Der Treck war von der Wehrmacht organisiert. Über Nacht wurden wir immer in irgendwelchen Hallen untergebracht.
Ich muss sagen, für mich als Jungen war das schon so eine Art Abenteuer.

Wenn wir in den Orten Halt gemacht haben, mussten wir hinter uns, also hinter den Trecks, immer Panzersperren bauen. So sollten fremde Panzer behindert oder zumindest zur langsameren Fahrt gezwungen werden.  Was wir uns da alles haben einfallen lassen. Das Gute war, dass die Russen damals die Trecks nicht mit ihren Flugzeugen angegriffen haben. Die haben nicht auf uns Flüchtlinge geschossen. Da hatten wir Glück, weil wir später gehört haben, dass die Trecks in Ostpreußen von den Russen angegriffen wurden.

Auf unserem Weg haben wir was ganz Fürchterliches gesehen. Das war hinter Breslau. Obgleich es in Schlesien kein KZ gab, war da aber so eine Art Nebenstelle. Und da haben wir beobachtet, wie diese KZ-Insassen über die Felder getrieben wurden. Das war ein Todesmarsch. Jeder der hinfiel, wurde erschossen. Und wie die Menschen aussahen. Die waren alle total ausgehungert und durften ja auch nicht heraustreten aus der Menge. Ich war damals dreizehn als ich das mit ansehen musste. Für mich war das ein Schock fürs Leben.

Die Fahrt durch Tschechien war nicht ganz so schlecht. Tschechien war ja die am besten organsierteste Demokratie vor dem zweiten Weltkrieg. Und so sah diese auch aus. So etwas Schönes gab es da in Deutschland noch gar nicht. Und dadurch, dass Tschechien annektiert wurde, also Hitler geschenkt wurde, damit der keinen Krieg anfängt, hatten die da ja auch noch nichts gehabt an Krieg und so. Aber die Tschechen waren dadurch demütig bis zum geht nicht mehr. Auf den Straßenschildern zum Beispiel stand alles sehr groß in Deutsch und darunter ziemlich klein in Tschechisch.

Unterwegs kam die Wehrmacht  immer in die Trecks rein. Sie holte alles, was über 14 Jahre alt war und ältere Männer zum Volkssturm aus den Trecks raus. Die sollten dann als Soldat dienen. Und das immer wieder. Mein Vater wurde auch ein paar Mal geholt, aber der war am nächsten Tag immer wieder da. Der ist immer irgendwie abgehauen und sagte: „Man muss nur aufpassen, dass dich nicht mal einer kriegt, der dich schon gesehen hat.“
Heute, wenn ich morgens aufwache, da habe ich schon oft zu meiner Frau gesagt, dass ich Gott dafür danke, dass wir den Krieg verloren haben. Wenn ich damals älter gewesen wäre, dann hätte ich auch Leute erschießen müssen. Ich mache denen, die es getan haben, auch keinen Vorwurf, die mussten ja. Aber wenn die Menschen heute noch so die Nazis verherrlichen, dafür habe ich kein Verständnis.

Und so waren wir bis März unterwegs. Da sind wir dann bei Pilsen an der bayerischen Grenze angekommen. Dort wurden wir in einer Laubenkolonie untergebracht. Die Lauben gehörten den Leuten aus Pilsen, damit die am Wochenende aus der Stadt rausfahren konnten. Unser Gespann wurde bei einem Bauern untergestellt. Über die Grenze durften wir nicht. Die Wehrmacht wollte die Straßen frei haben. Wir mussten dann Spanndienste leisten. Wer sich gewehrt hat, der wurde erschossen. Und die SS war auch immer dabei. Die hat aufgepasst, dass alles ausgeführt wird. Sowohl das Leisten der Spanndienste, als auch das Erschießen wenn sich Leute geweigert haben.

Der Bauer, bei dem wir unsere Pferde untergestellt hatten, sagte immer: „Ihr müsst rüber nach Deutschland. Hier erwartet euch nichts Gutes wenn der Krieg vorbei ist. Ihr müsst über die Grenze.“ Drei oder vier Mal haben wir dann versucht loszufahren. Doch wenn wir oben an die Hauptstraße kamen, standen dann die Soldaten da und sagten: „Wer die Straße betritt, der wird erschossen.“

Und dann war alles vorbei. Die Amerikaner waren da. Wir Flüchtlinge wurden zusammen getrieben. Wir durften nur mitnehmen, was wir in der Hand halten konnten. Ich hatte einen Rucksack mit, da war ein Anzug von meinem Bruder drin. So ein Quatsch eigentlich, den brauchte ich ja nun überhaupt nicht.
Wir wurden nach Pilsen getrieben. Da war ein KZ, wo die Tschechen untergebracht waren. Als wir dort ankamen, hieß es, wir sollen alle Sachen weglegen und erst einmal etwas essen. Und da kriegten wir dann die KZ-Verpflegung: Einen Viertel Liter Suppe und 100 Gramm Brot. Das haben die Tschechen vorher auch bekommen. Unter uns waren auch Frauen mit Babys. Für die Babys hatten die natürlich nichts zu essen, es war ja alles durcheinander. Also haben wir jeder noch etwas von unserer Suppe abgegeben – so waren die Babys rund und gesund. Unsere Sachen haben wir danach aber nicht wieder gesehen.

In dem KZ mussten wir arbeiten. Bewacht wurden wir dabei von Tschechen – junge Leute, deren Eltern von den Deutschen umgebracht wurden. Aber so unmenschlich waren die uns gegenüber gar nicht. Nicht so, wie die Deutschen es verdient hätten. Für die waren wir ja die Bösen, weil wir nun mal Deutsche waren. „Deutsch“ das war nach dem Krieg ein Schimpfwort für viele Ausländer. Nicht verwunderlich, bei dem, was wir angerichtet haben auf dieser Welt.
Eines Nachts fuhren amerikanische Armeelastwagen in das Lager. Die Soldaten warfen uns förmlich auf die Lastwagen rauf. Aber die meinten es gut, da war in dem Lager nämlich Typhus ausgebrochen. Die fuhren uns dann nach Nürnberg und ließen uns auf dem Albrecht-Dürer-Platz raus. Tja, und da waren wir in Deutschland. Aber mit nichts in der Hand. So saßen wir nun in den Trümmern auf dem Albrecht-Dürer-Platz und jammerten. Da sagte meine Mutter: „Was wollt ihr denn? Der Krieg ist vorbei und wir leben! Was wollen wir denn noch mehr?“

Und so bin ich nach Deutschland gekommen. Eigentlich wollten wir wieder zurück in die Heimat, aber das ging nicht – wegen der Russen. Also sind wir hier raufgewandert. Meine Schwester hatte die Adresse von unserer Cousine, die war hier in Cäciliengroden verheiratet. Wir sind auf Güter- und Kohlenzügen hierher gereist. Im Sommer 1945 sind wir dann in Cäciliengroden angekommen. Die anderen, die mit uns geflohen sind, sind damals alle in Bayern geblieben.

 

Aus den Erzählungen von Herbert Jünke, geschrieben von der Enkelin Pia Jünke, nacherzählt aus der Sicht des jungen Herbert.

Eine Geschichte über die Flucht von Pommern nach Ostfriesland

Heimat

Ich erinnere mich an Landluft, weite Felder, Wald und Wiesen. Zwar leben wir mitten im Ort, direkt an der Hauptstraße – doch Pribbernow ist ein kleines Dorf. Ich erinnere mich an den See. Wir gehen oft darin schwimmen. Ich erinnere mich an die Kirche mit den Mauern aus großen Steinen. An die Schule, an Freunde, an meine Familie. Ich erinnere mich an die kleine Landwirtschaft, die mein Vater führt. An Tiere und volle Gemüsebeete. Nachbarn, die zu Besuch kommen. An Doktor Gerhard, mit dem Papa gerne über die Straße in die Gastwirtschaft geht. An Papa, der Musik spielt. Saxophon, Klarinette und vieles mehr. Papa, der gerne in das Hotel in unserer Straße geht und die Gäste mit Theater und Musik unterhält. Papa, der sogar schon Mal im Orchester gespielt hat, bevor er die Landwirtschaft von Opa übernommen hat. Papa, der im August plötzlich nicht mehr da ist.

Ich bin elf Jahre alt.

Auf die Beerdigung darf ich nicht mit. Mama hat es nicht erlaubt. Ein kranker Magen war schuld – sagt der Arzt. Ich verstehe das nicht. Die Musik im Haus fehlt mir.

Dann ist Sommer. Die ersten Flüchtlinge kommen in unser Dorf. Sie sind auf der Durchreise. Sie suchen nach einem sicheren Ort. Sie wollen, dass wir mitkommen — Wir bleiben. In der Hoffnung, dass alles bald vorbei sein wird. Mama liest mir aus der Zeitung vor. Da steht nichts von Krieg in Pribbernow. Wir brauchen nicht gehen. Wir wollen das glauben.

Dann ist Weihnachten. Wir müssen nicht mehr in die Schule. Unsere Straße ist voll. Überall fliehende Menschen. Endlose Trecks mit Pferd und Wagen ziehen an unserem Haus vorbei. Die meisten aber gehen zu Fuß. In der Nacht suchen sie Schutz bei uns, essen an unserem Tisch, ihre Pferde stehen in unserem Stall. Und dann ist der Krieg ganz nah.

Die Flucht

Der Krieg ist plötzlich so nah, dass uns keine Zeit zum Überlegen bleibt. Es geht alles so schnell, ich weiß nicht mal mehr ob wir etwas mitgenommen haben. Papas Instrumente – die wollte ich nehmen. Mama hat es nicht erlaubt. Unsere Pässe und einen großen Schinken – an mehr erinnere ich mich nicht mehr. Die Hände meiner Schwestern, an denen ich mich gehalten habe. Und Mama, die uns in Sicherheit bringen will.

Wir rennen in den Wald. Hauptsache Schutz. Einen Plan haben wir nicht.
Bis der Postmann in den Wald gerannt kommt – ein alter Freund von Papa. Er hat uns gesucht. „Die Post hat zwei Busse: Einen für Mitarbeiter und einen für Angehörige. Ich habe euch Plätze gesichert“, sagt er. Ziel ist der Hafen in Swinemünde, von dort aus geht eine Fähre, die uns in Sicherheit bringen soll. Wir steigen in den Bus. Eine halbe Stunde fahren wir. Es geht nur langsam voran. Die Straßen sind voll. Weit sind wir noch nicht gekommen.
Plötzlich gibt es einen Knall. Es raucht. Das ist der Bus vor uns, mit den Postbeamten. Motorschaden. „Alle raus!“, heißt es. Wir werden auf die Straße gesetzt. Die Postbeamten fahren mit unserem Bus weiter. Und wir stehen da.
Die einzige Möglichkeit ist jetzt noch der Zug. Wir machen uns auf den Weg zum nächsten Bahnhof in Stettin, nicht mehr ganz so weit von uns entfernt.
Am Bahnhof ist ein riesengroßer Andrang. Überall Menschen. Wir halten uns an den Händen. Bloß niemanden verlieren. Ich suche nach bekannten Gesichtern – kann aber niemanden entdecken. Kurze Zeit später hebt Mama uns in einen Güterwagen. So viele Menschen auf einem Haufen, alle wollen in diesen Wagen – Ich habe Angst. Meine Schwestern sitzen neben mir auf dem Boden. Mama schaut sich erschöpft um. Das waren die letzten Plätze.
Ich gucke noch einmal aus dem Waggon auf den Bahnsteig. In der Ferne kann ich meinen Schulfreund erkennen. Er steht mit seinen Eltern in der Menge. Kein Platz mehr frei. Es ruckelt. Der Zug fährt los.

Eine Stunde später fallen die Bomben auf Stettin.

Die Ankunft

Seit einer Woche sind wir unterwegs. Die Fahrt hätte scheitern können. „Ein Feind“, so sagen die Leute, „ hatte versucht, den Zug kurz nach unserer Abfahrt anzuhalten“. Wir sollten mitten im Bombenangriff stehen bleiben. Zum Glück ist alles aufgeflogen und wir sind sicher raus gekommen. Keiner wusste wo es hingehen soll.
Später haben wir erfahren, dass der Bus mit den Postbeamten am Hafen in Swinemünde angekommen war. Sie haben einen Platz auf einer Fähre ergattert und dachten sie seien in Sicherheit. Die Fähre ist auf eine Mine gelaufen. Keiner hat überlebt.

Jetzt sind wir am Ziel. Nach zerbombten Städten und Trümmern kommen mir die grünen Felder, Bauernhöfen und Wälder unheimlich vor. Wir steigen an einem kleinen Bahnhof in Ostfriesland aus. „LEER“ steht auf einem großen Schild. Hier ist es ruhig. Wir sind erschöpft. Der Schinken ist längst aufgegessen.
Wir werden ein kurzes Stück durch die Stadt geführt. In einem Kino dürfen wir uns ausruhen. Bekommen heißen Tee und etwas zu essen. Hier verbringen wir die Nacht.

Am nächsten Morgen sollen alle Neuankömmlinge auf die Dörfer verteilt werden. Wieder geht es auf engstem Raum in einem Möbelwagen auf die Reise. In Großoldendorf steigen wir aus.

Obwohl wir dieselbe Sprache sprechen, uns äußerlich nicht sonderlich unterscheiden und auch wir etwas von der Landwirtschaft verstehen, schauen die Leute uns mit diesem Blick an. Fremde. Trotzdem — Das kleine Dorf erinnert mich ein bisschen an die Heimat. Es liegt an einem Wald. Überall sind Bauernhöfe. Auf einem von ihnen kommen wir unter. Meine Mutter hilft im Haushalt und ich auf dem Hof. Meine Schwester ist beim Nachbarn untergekommen und hilft dort die Kühe zu melken. Die Pässe, die unsere Mutter eingepackt hatte sind verschwunden. Irgendjemand muss sie uns geklaut haben.

Hier werden wir die nächsten Jahre leben. Es wird zehn Jahre dauern, bis wir die ersten eigenen vier Wände bauen. Lediglich eine alte Baracke. Und weitere Jahre werden vergehen, bis ich meiner Mutter ein richtiges Haus bauen kann. Auf einem eigenen Grundstück direkt am Wald. Und es dauert, bis die Leute uns verstehen. Aber von Dauer sind auch die Freundschaften, die ich knüpfen werde. Eines Tages soll ich sogar von den Einheimischen zum Bürgermeister in diesem kleinen Dorf gewählt werden. Nicht, weil ich gerne im Mittelpunkt stehen würde – das ist nicht meine Art. Sondern weil ich das Gute in jedem Menschen sehen möchte. Das werde ich mir beibehalten, ein Leben lang – egal was mir der Krieg genommen hat.

 

In dieser Geschichte schildert mein Vater seine Eindrücke und Erinnerungen über seine Flucht von Jeltsch in Schlesien nach Langeoog.

Flucht aus Jeltsch-Laskowitsch in Nordschlesien

Von Nina-Julia Gleitsmann

Ich bin in Jeltsch-Laskowitsch in Nordschlesien groß geworden. Mit meinen zwei Brüdern. Ich war der Älteste von uns. Wir sind gemeinsam mit einer Freundin von meiner Mutter und ihren beiden Söhnen geflüchtet. Papa war die ganze Zeit in Frankreich als Soldat im Krieg und später bis 1948 dort in Gefangenschaft. Das erste Mal sind wir 1943 geflüchtet, da war ich sechs Jahre alt. An viele Sachen kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern.

Die erste Flucht war vor den Russen. Wir sind von Jeltsch bis nach Dresden geflohen.  Kurz vor Dresden allerdings haben wir uns in einem Wald versteckt, da ein großer Bombenanschlag auf Dresden war. Überall flogen uns die Bomben um die Ohren. Wir hatten jedoch Glück, dass wir noch ein wenig entfernt von der Stadt waren. Es war sehr laut und Dresden war wie ein großer Feuerball. Wir haben uns ein paar Tage im Wald versteckt. Dort haben wir gewartet und sind dann weiter nach Dresden. Inzwischen waren allerdings die Russen vor Ort.  Deswegen sind wir wieder zurückgegangen. Auch weil meine Mutter dachte, der Krieg sei nun vorbei.

Dann müssen wir wieder ein paar Monate in Jeltsch gewesen sein. Bis die Polen kamen als der Krieg dann tatsächlich vorbei war. Da durften wir nicht mehr raus, weil die Polen uns sonst verprügelt hätten.  Aber weil wir nichts zu essen hatten und die Lage immer schwieriger wurde, hat meine Mutter dann mit einem bekannten russischen Offizier gesprochen, der in Jeltsch vor Ort war  und uns die Flucht ermöglichte und seine Hilfe anbot. Dann ging alles ganz schnell. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion sind wir dann von  Jeltsch zu Fuß nach Breslau gegangen. Dort hat der russische Offizier auf uns gewartet und der hat uns dann in seiner Pferdebahn bis nach Berlin mitgenommen.

Der Wagen war voller Stroh und da haben wir uns dann versteckt, wir haben sogar Essen bekommen. Meine Mutter haben wir immer unter uns versteckt, falls die Russen betrunken etwas von ihr wollten. Das hat auch immer geklappt, da wir behaupteten, dass sie nicht da sei. Die haben uns dann auch in Ruhe gelassen. Generell waren die Russen sehr nett zu uns Kindern. Ich denke, die mochten uns, weil wir Jungs alle blonde Haare hatten und die Kinder aus Russland eher dunkelhaarig sind. Sie gaben uns immer ein Brot oder eine andere Kleinigkeit zu essen.

In Berlin angekommen, mussten wir dann bis spät in die Nacht warten bis wir vom Wagen gehen konnten, da wir unseren russischen Freund nicht verraten durften. Dann sind wir mit dem Zug weiter Richtung Helmstedt gefahren. In Helmstedt war ein großer Grenzbahnhof und eine Auffangstation für Flüchtlinge. Nun war es aber nicht ganz einfach ins heutige Niedersachsen einzureisen, da dort ja die britische Besatzungszone lag. Die kontrollierten dort alle und legten gerne Steine in den Weg zur Weiterreise. Nun bin ich ein wenig abgeschweift.

Also auf dem Weg von Berlin mit vielen Umstiegen haben wir meine Mutter zwei Mal verloren. Das erste Mal schon bei der Abfahrt aus Berlin. Klaus, mein kleinerer Bruder, und ich waren schon im Zug und Mama stand noch mit Uwe, der war ja noch ein Säugling, draußen. Der Zug ist dann einfach abgefahren. Mama hat es dann aber geschafft, dass die am nächsten Bahnhof Bescheid wussten und uns rausholten. Und das zweite Mal waren wir stundenlang im Zug und ich weiß nur noch, dass es ziemlich heiß war und der Zug stand die ganze Zeit. Deshalb sind Mama und ihre Freundin dann Wasser holen gegangen und dann ist der Zug plötzlich losgefahren. Wir haben schrecklich geweint, aber da war ein russisches Paar, die haben uns getröstet und dann sind wir die nächste Station einfach ausgestiegen. Mama hatte auch dann bereits irgendwie Bescheid gegeben und die Stationsaufseher waren dort sehr nett. Wir durften dort bleiben und haben auch was zum Essen bekommen.

Fünf Tage später kam dann der nächste Zug und wir sind mit Mama nach Helmstedt gefahren. Dort durften wir auch gleich weiterfahren Richtung Langeoog:  Unser Ziel.  Dort lebten Oma und Opa. Wir hatten auch in Helmstedt viel Glück, weil Oma und Opa bereits die Menschen dort kontaktiert hatten und meine Mutter zusätzlich schriftlichen Verkehr mit ihren Eltern hatte und die Grenzposten das dann so abgesegnet haben.

Das Ankommen auf Langeoog war sehr schön.  Alles ganz urig, man sah gar nichts vom Krieg und seinen Auswirkungen, alles so normal. Und Oma und Opa hatten ja eine Meierei und dort gab es viel zu essen. Aber wie lange wir unterwegs waren, das weiß ich wirklich nicht mehr.

 

Ihre Oma starb, bevor Kim zwölf Jahre alt war. In einem Brief an die verstorbene Großmutter reflektiert die Enkelin ein Gespräch mit ihrem Vater, der von der Fluchtgeschichte  seiner Mutter erzählte.

Brief an Oma

Von Kim Geisler

Liebe Oma Rita,

14 Jahre ist es nun schon her, dass du von uns gegangen bist.
Ich kann mich noch sehr gut an den Tag im September erinnern, als das Telefon klingelte und Onkel Joachim sagte, dass du gestorben bist. An dem Nachmittag war ich  mit meiner Freundin Katharina zum Spielen verabredet. Aber mir war nicht mehr zum Spielen zumute. Du warst fort und ich konnte mich nicht von dir verabschieden. Diese Tatsache macht mich auch Jahre später noch sehr traurig.

Wenn ich heute an dich denke, denke ich an das Schützenfest in Esens. Ich denke an Malzbier, was ich so oft bei dir getrunken habe. An die „Polly, Pit und Pummel“-Geschichten, die du mir abends vorgelesen hast, wenn ich bei dir übernachtet habe. Und du hast für mich die tollsten Faschingskostüme genäht. Ich denke auch an Opa Heinz, den ich leider nie kennen gelernt habe, weil er schon vor meiner Geburt verstorben ist.

Denkst du auch manchmal an uns? An deine Kinder und uns Enkel? Ich stelle mir immer wieder vor, dass du und Opa uns alle beobachtest und immer noch teil habt an unserem Leben.

Von eurem Leben erzählen Mama und Papa immer wieder zwischendurch. Papa hat mir vor kurzem  zum Beispiel von der Vertreibung aus eurer Heimat erzählt:

Du warst 20 Jahre alt, als der Krieg fast vorbei war und lebtest mit deinen Eltern und Geschwistern auf einem Bauernhof in der Grafschaft Glatz in Schlesien. Rengersdorf, um genau zu sein.
Als die Russen kamen, hast du dich mit deinen Schwestern und den Nachbarsmädchen bei einem Tischler versteckt, der Särge gebaut hat. Wochenlang lagt ihr in den Särgen, weil ihr Angst hattet, vergewaltigt oder verschleppt zu werden. Und die Angst war berechtigt – das habt ihr aus Erzählungen erfahren. Eines Tages hieß es, dass ihr am nächsten Tag alle weg müsst, alle zum Bahnhof. Und ihr durftet nur mitnehmen, was ihr tragen konntet, alles andere musstet ihr zurücklassen. Euren Bauernhof mit Ackerbau, Kühen und Schweinen solltet ihr einfach zurücklassen. Wenn ich mir vorstelle, dass jemand heute zu mir kommt und sagt: „Morgen musst du hier weg. Nimm‘ mit, was du tragen kannst, der Rest bleibt hier“ – nein, das KANN ich mir gar nicht vorstellen.

Euer Hof wurde schon einer polnischen Familie zugeteilt, die auch vom Russen vertrieben wurde.
Mit euren wenigen Sachen musstet ihr in die Züge steigen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Euch wurde ja nichts gesagt. Zwischendurch mussten die Züge mal stoppen, da habt ihr dann etwas zu essen bekommen und die Toten wurden rausgeholt. Papa hat erzählt, dass ihr alle nach Aurich in Ostfriesland gebracht wurdet. Von dort aus wurdet ihr aufgeteilt. Viele aus eurem Dorf sind dann nach Esens gekommen. Dort musstet ihr von den Einwohnern aufgenommen werden, was nicht immer einfach war. Ihr seid damals bei einem Tierarzt untergekommen, der aber wohl ganz human war. Ihr konntet ja auch nichts für eure Situation, schließlich seid ihr nicht freiwillig gegangen, sondern wurdet vertrieben. Diese Unterscheidung war dir auch immer wichtig. Dazu kam noch, dass ihr alle katholisch wart und es damals nur evangelische Kirchen in Esens gab.

Mit den Jahren habt ihr euch dann zwar eingelebt, du hast Opa kennen gelernt und drei Söhne bekommen. Aber deine Heimat, Schlesien, hast du niemals vergessen. An einem Weihnachtsfest in den 70er Jahren bekamst du ein Paket von eurer ehemaligen Magd, die ihr damals auf dem Hof hattet. Minna hieß sie. In dem Paket waren Äpfel und eine Tüte mit Erde. Ein paar Tage später kam noch ein Brief dazu, in dem stand, dass es Erde aus deiner Heimat und Äpfel aus deinem Garten waren. Die Magd, die in die ehemalige DDR vertrieben wurde, hatte nämlich Kontakt zu dem Polen aufgenommen, der auf eurem Hof eingesetzt wurde. Er sagte, dass ihr gerne nach Polen kommen könnt und ihr herzlich eingeladen seid. Zu der Zeit konnte man ja nicht einfach nach Polen fahren, man musste eingeladen werden. Papa meint, dass du, eine deiner Schwestern und ehemalige Nachbarn aus Schlesien dann in die alte Heimat gefahren seid. Joseph, so hieß der Pole, sagte dann, dass er auch gern eure Familien kennen lernen will und so seid ihr dann ein Jahr später alle zusammen hingefahren. Mit drei Autos. Du, Opa, Papa, seine beiden Brüder und noch zwei andere Familien aus der Nachbarschaft.

Was ich sehr bewegend fand, war, als Papa davon erzählte, dass Joseph ihn, Joachim und Karl-Heinz fragte, ob sie böse auf ihn sind. „Alles, was hier jetzt steht, das könnte euch gehören. Seid ihr jetzt böse mit mir, weil ich das jetzt habe?“

Aber sie waren nicht böse, weil Joseph sich das ja auch nicht ausgesucht hat. „Dann seid ihr immer herzlich willkommen“, hat Joseph gesagt und er hat sich wirklich gefreut, dass ihr alle gekommen seid. Du hast sogar in deinem alten Bett geschlafen, was dir gehörte, bevor ihr vertrieben wurdet. Was war das wohl für ein Gefühl für dich? Wärst du vielleicht auch gerne dort geblieben? Oder war Esens deine neue Heimat, in der du glücklich warst?

Teilweise war sogar noch das Geschirr erhalten, das ihr früher benutzt habt. Eine Suppen-Terrine konntet ihr auch wieder mit nach Deutschland nehmen. Die durfte der Pole nämlich nicht auf den Tisch stellen, weil dort deutsche Schrift drauf war. Ich finde es schon ziemlich erstaunlich, dass ihr so gastfreundlich aufgenommen wurdet. Papa erzählte, dass es jeden Morgen ein großes Frühstück gab und der Tisch auch abends wieder reichlich gedeckt war, als ihr von euren Ausflügen wieder gekommen seid.

Vor neun Jahren hatte ich das Glück, mit Mama und Papa und zwei bekannten Ehepaaren ebenfalls nach Polen fahren zu können. Trotz der vielen Vorurteile, die es gegenüber Land und Leuten gibt, hatten wir eine schöne Zeit dort. Mit drei Wohnmobilen sind wir unter anderem durch Schlesien gefahren und haben auch in deinem Heimatdorf Halt gemacht. Papa konnte sich noch ungefähr an den Weg zu eurem Hof erinnern. Zu Fuß sind wir den Hügel hochgelaufen, der Weg war etwas matschig, weil es kurz vorher geregnet hatte. Da kann ich mich noch ganz genau dran erinnern. Es war sehr beeindruckend, dein Elternhaus zu sehen. Besonders, weil immer noch die Initialen deines Vaters – meines Urgroßvaters – am Giebel zu sehen waren. Auf dem Hof gab es immer noch Tiere. Enten und Hühner liefen frei herum. Auch Katzen haben wir gesehen. Die jetzigen Bewohner kamen auch aus dem Haus und mit alten Fotos und Verständigung über Handzeichen, konnten wir ihnen erklären, dass du dort mal gelebt hast. Die Frau, mit der wir sprachen, war Joseph’s Tochter.

In dem Gespräch mit Papa wurden mir viele Fragen beantwortet, aber viele sind noch immer offen. Ich bin froh darüber, wieder etwas mehr aus deinem Leben erfahren zu haben, nur hätte ich die alten Geschichten gerne auch von dir gehört. Aber Oma, irgendwann, wenn auch mein Tag gekommen ist, werden wir über all diese Dinge sprechen können.

Nun bin ich am Ende des Briefes angelangt. Während ich geschrieben habe, liefen einige Tränen über mein Gesicht. Dadurch, dass ich in den letzten Tagen so viel an dich gedacht habe, ist mir wieder bewusst geworden, wie sehr ich dich vermisse.

Ich werde dich für immer in meinem Herzen behalten,

Deine Enkelin Kim

 

PS: Falls du Opa Manfred dort oben siehst, grüß´ ihn bitte ganz lieb von mir. Wie du sicherlich weißt, ist er letztes Jahr nach schwerer Krankheit gestorben. Auch von ihm konnte ich mich nicht verabschieden, was mich sehr traurig macht. Aber die Traurigkeit wird irgendwann vorbeigehen und einem viel schönerem Gefühl weichen: Dankbarkeit für das Leben und die vielen Erinnerungen, die bleiben.

 

 

Renate war gerade einmal ein Jahr alt, als ihre Mutter mit ihr und den zwei älteren Geschwistern 1945 aus Posen Richtung Berlin und in den bayerischen Wald floh. Der Vater war kurz vor Renates Geburt an der Ostfront gefallen. Dies ist die Geschichte einer starken Frau, die mit Modernität, Selbstständigkeit und Nächstenliebe ihre Kinder erfolgreich durch die Flucht brachte. Erzählt aus der Sicht der jüngsten Tochter Renate.

Mensch ist Mensch

Von Madita Harnisch

Ich wurde im Februar 1944 in Posen geboren. Direkt an der Oder-Neiße-Linie der damaligen Bundesrepublik liegt Küstrin. Da lebten meine Großeltern und auf halbem Weg befand sich Posen, Richtung Warschau. Ich bin das dritte Kind meiner Eltern. Meine Geschwister waren jeweils zwei und vier Jahre alt als ich geboren wurde.  Mein Vater, der Jurist war und in Posen eine Stelle hatte, fiel im Krieg an der Ostfront als meine Mutter im sechsten Monat mit mir schwanger war. Wir, die damaligen Reichsdeutschen, befanden uns in einem besetzten Gebiet und waren dort also mehr oder weniger nicht zu Hause.

Auch waren wir natürlich nicht gern gesehen. Wir waren ja die Besatzungsmacht. Wir waren also die Aggression. Viele Polen mussten damals ihre Häuser zwangsräumen, damit wir dort leben konnten. Meine Mutter, die die eigentliche Protagonistin der Geschichte ist, die ich Ihnen nun erzähle, ging mit dieser Situation jedoch sehr warmherzig um. Sie war studierte Lehrerin in dem Fach Naturwissenschaften und besaß einen hohen Intellekt. Das war zu der NS-Zeit gar nicht so einfach für eine solch moderne Frau. Frauen hatten ja angeblich nicht das Gehirn für so etwas, man sah sie damals eher am Herd und sie sollten Kinder bekommen. Meine Mutter war eine starke Persönlichkeit. Sie gab, als wir nach Posen kamen, an, dass sie ohne Personal nicht ihren Lebensstandard halten könne. So arrangierte sie, dass die polnische Familie in den Keller des Hauses, das uns zugewiesen wurde, ziehen konnte. Leider hatten nicht alle dieses Glück der Solidarität und Empathie. Viele Polen kamen in Lager und mussten alles für uns Deutsche zurücklassen.

Im Frühjahr 1945 kam dann der endgültige Zeitpunkt, an dem die Deutschen raus mussten, da die russische Front schon relativ nah vorangeschritten war. Ansonsten waren sie großen Gefahren ausgesetzt.  Man kann das heutzutage mit den Gebieten der IS vergleichen. Meine Mutter war wie gesagt schon ein paar Monate Witwe, als ich 1944 geboren wurde. Sie ging dann zu Freunden und Bekannten auf ein Gut mit uns Kindern, weil sie sich in der Stadt nicht mehr sicher fühlte. Schließlich haben sie 1945 dann auch Pferd und Wagen angespannt und sind mit uns, insgesamt fünf Kindern, zur Flucht aufgebrochen. Wir hatten damals wenigstens ein Transportmittel, heutzutage haben die Flüchtlinge ja nicht mal das.

Meine Mutter wollte mit uns in den bayrischen Wald, wo mein Vater vorher gearbeitet hatte. Wir sind dann zu Fuß bis Berlin gelaufen. Ab Berlin fuhren die ersten Züge. Dort hat sich unsere Gruppe dann getrennt. Ich weiß noch, dass meine Tante Ruth ein anderes Ziel hatte als meine Mutter. Sie hatte dazu auch noch Befürchtungen, da ihr Mann bei der SS war, dass er verhaftet wurde oder sie ihn gar nicht treffen konnte oder ähnliches. Die Zugfahrt hat einige Tage gedauert und dann kamen wir Kinder bei Freunden im bayrischen Wald unter. Insgesamt waren wir drei bis vier Wochen unterwegs. Ich war ja gerade einmal ein Jahr alt, als wir auf der Flucht waren. Ich habe natürlich keine Erinnerungen daran. Aber meine Mutter hat mir viel erzählt und wir haben sogar in den achtziger Jahren eine Erinnerungsreise über einige Wochen durch Polen gemacht. Ich musste meine Mutter dazu überreden, es fiel ihr erst schwer sich darauf einzulassen. Aber im Endeffekt war es sehr gut für sie, das hat sie später auch selber bestätigt. Wir besuchten sogar das alte Haus und wurden von den Kindern dieser Familie mit offenen Armen empfangen.

Das was die Polen durch die deutsche Besatzungsmacht damals erlebten, war so dramatisch, dass ich annehme, erst die Generation der Kinder konnte das alles verkraften. Sehr schwer für meine Mutter war es, dass natürlich auch positive Erinnerungen in ihr ausgelöst wurden. Das waren zum Beispiel Erinnerungen an die Jahre mit meinem Vater oder ihre Studentenzeit. Meine Mutter hatte nach dem Tod meines Vaters keinen weiteren Mann mehr. Nebenbei erzählte sie mir einmal von einer wohl sehr traumatischen Situation in einer Scheune, in der sie übernachteten. Wenn man in Scheunen übernachtete, hatte man teilweise Glück Futter für das Pferd und Milch für uns Kinder zu bekommen. Allerdings war es auch in einer solchen Scheune zu schrecklichen Momenten gekommen. Meine Mutter konnte zwar durch  mehr oder weniger dramatische Aktionen einer Vergewaltigung noch entkommen, aber dafür erwischte es eine andere junge Frau, die dort übernachtete. Das war so schlimm und da sind dann auch Traumata  geblieben.

Da sind einige gewesen, die eigentlich nicht mehr mit der Situation klarkamen und das wird auch unseren Flüchtlingen hier so gehen. Da bin ich mir ganz sicher. Einige Traumata können gerade die Frauen nicht verarbeiten. Für die Männer ist das vielleicht etwas leichter zu verdauen, aber es gibt auch sehr sensible, da wird es wieder schwieriger. Die Hoffnung liegt bei den kleinen Kindern. Die ganz kleinen Flüchtlinge verdrängen und vergessen die schlimmen Ereignisse ihrer Flucht vielleicht. Und dann wäre es toll für sie, wenn sie später noch einmal in ihre Heimat  zurückkehren könnten. Ob sie bleiben oder nicht, sei dahingestellt. Aber das glückliche Ende einer Flüchtlingsgeschichte, wie sie meine Mutter mit einer Erinnerungsreise noch einmal aufarbeiten konnte, würde ich auch den aktuellen Flüchtlingen wünschen.

Als unsere Flucht im bayrischen Wald endete und wir Kinder bei Freunden untergekommen waren, fuhr meine Mutter dann nach Norddeutschland, um zu gucken wo sie eine Stelle bekam. Sie wollte gerne nach Wilhelmshaven, da hatte sie auch ihr Abitur gemacht. Meine Mutter ist sehr viel herumgekommen in ihrem Leben. Sie hat dann zunächst eine Stelle in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bad Zwischenahn bekommen. Anschließend hat sie uns Kinder und ihre Eltern aus Küstrin zu sich geholt. Meine Großmutter erlitt danach einen Schlaganfall und musste in ein Pflegeheim. So musste meine Mutter nicht nur für uns drei Kinder, sondern auch noch für ihre Eltern sorgen, vor allem auch finanziell gesehen. Und für uns Kinder mussten sie ja auch noch zusätzlich die Vaterrolle übernehmen, es widersprach ihr aber auch keiner. In diesem Dorf kann ich mich noch ganz genau an die Schulspeisung erinnern. Die Amerikaner oder Briten, so ganz genau weiß ich das nicht mehr, wir waren ja britische Besatzungszone, lieferten an die Schule, in der meine Mutter unterrichtete, süße Suppen. Ich war dann mittlerweile drei und durfte dort mitessen. Das war ein Riesenereignis für uns Kinder. Und wenn der Deckel von dem kübelartigen Behältnis des Speisewagens geöffnet wurde, dann konnten wir die Suppen riechen. Das war toll! Das war so toll!

Danach sind wir dann nach Wilhelmshaven gezogen. Da war ich etwa fünf Jahre alt. 1949 war die Situation aber immer noch so schlecht, dass die Flüchtlinge in Wohnungen eingewiesen wurden. Das heißt meine Mutter bekam ein Zimmer mit drei Kindern in der Peterstraße, Ecke Oldeoogestraße, das Haus steht immer noch. Unten in diesem Haus oder in dem Nachbarhaus war eine sogenannte Badeanstalt. Das heißt Menschen, die kein eigenes Bad hatten, gingen einmal in der Woche dahin, um zu baden. Das musste man aber bezahlen. Ich weiß, dass wir da gewesen sind. In dieser Wohnung müssen wir auch über ein Jahr gewesen sein, denn ich bin dort in der Oldeoogestraße eingeschult worden. Der ganz große Unterschied zu heute ist aber: Wir sprachen Deutsch, unsere Nachbarn sprachen Deutsch und auch in der Schule sprach man Deutsch und meine Mutter hatte einen Beruf.

Man muss sagen, sie hatte bei der Flucht nicht viel mitnehmen können. Sie bewahrte nur ein paar Fotos und hatte ein bisschen Kleidung für uns Kinder. Sie musste alles mit der Hand auswaschen und auf einem kleinen Kocher das Essen machen, aber sie war nicht verfolgt. Sie war in einer Besatzungszone, in der ihr keine Gefahr mehr drohte. Und die Gefahren auf der Flucht waren enorm. Nicht nur Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung, sondern auch Erschießungen – einfach Morde ohne Sinn und Verstand.

Ein Jahr später bekamen wir dann unsere erste eigene Wohnung. Natürlich gab es da keine Kinderzimmer wie heute oder so. Wir hatten unsere Etagenbetten im Flur und unsere Mutter schlief im Wohnzimmer. Das war aber normal für uns. Wir haben das nicht als schlimm empfunden. Wir kannten auch keine Butter oder Fleisch in Mengen. Ein Kind braucht auch keine Butter, wenn es nicht weiß, was das ist. Wir mussten diesen schrecklichen Lebertran schlucken, weil wir mangelernährt waren und ich musste mit acht Jahren zur sogenannten “Kinder-Landverschickung“, was später als „Erholungsheim“ bezeichnet wurde. Von der Arbeiter Wohlfahrt gab es Kindererholungsheime, in denen man für vier oder sechs Wochen hingeschickt wurde, um aufgepäppelt zu werden. Ich hatte Rachitis, war also unterernährt, waren wir aber alle. Das war nicht schlimm. Die Kinder empfinden das nicht so. Okay, das Brot wurde abgezählt. Abends zwei Scheiben. Mehr gab es einfach nicht.  Aber das war eben so. Das einzige, was meine Mutter immer getan hat, wenn sie auch noch so wenig Geld oder irgendetwas zur Verfügung hatte, sie hat immer für unsere Ausbildung und Bildung gesorgt. Ich habe mit sieben Jahren schon flüssig lesen können. Zu Weihnachten gab es das „Jahrbuch für Mädchen“, furchtbar antiquiert dieser Titel, aber ein tolles Sach-, beziehungsweise Lehrbuch. Insgesamt hat meine Mutter bis zum Abschluss meines Studiums gar nicht mehr an sich gedacht. Sie war eine großartige, starke Frau, die uns Kinder so gut und so auf sich gestellt, durch diese Zeiten brachte. Gott sei Dank konnte sie noch 25 Jahre lang um die Welt reisen. Und da konnten wir sie auch ein bisschen verwöhnen für das, was sie für uns gemacht hat.

Was ich noch zur aktuellen Flüchtlingskrise sagen möchte: Ich finde die Debatte rund um das Thema zum Teil unnütz. Denn das erste menschliche Gebot ist, dass wir unseren Mitmenschen helfen und egal wo wir sind, in welchem Land, auf welcher Erde … Ich bin durch die ganze Welt gereist … Egal wo wir sind, wir haben die Pflicht anderen Menschen zu helfen und egal, ob die nun gebratene Heuschrecken essen oder Maden oder sonst was. Und egal, ob die an Shiva glauben oder Buddha, egal was ist, unsere Pflicht ist es zu helfen. Und es ist auch wichtig selber zu wissen, dass es uns richtig gut geht. Wir leben im Überfluss, wir leben im Luxus. Und wir reisen durch die ganze Welt und können alles kennenlernen und dürfen uns einfach nicht verschließen. Und es ist auch egal, ob jemand weiß ist oder schwarz oder gelb oder braun oder weiß ich was, völlig egal. Mensch ist Mensch. Und jeder Mensch, der lebt, muss am Leben erhalten werden.

 

Mit 14 verlässt die junge Edith ihre geliebte Heimat Sagan in Schlesien und bricht in eine ungewisse Zukunft nach Niedersachsen auf. Auszüge aus dem Fluchtbericht von Edith Köster, zusammengefasst und überarbeitet von ihrer Enkelin Melanie Köster.

Fluchtbericht meiner Oma

Ich bin 1930 in Sagan, in Niederschlesien geboren. Mein Vater starb früh, deshalb zog meine Mutter mich alleine auf. Bis zum Jahr 1939 hatte ich eine schöne und sorgenlose Kindheit. Dann brach der zweite Weltkrieg aus. Die Geschichte meiner Flucht beginnt 1944.

Als sich das Jahr 1944 fast dem Ende neigte, zogen endlose Trecks aus dem Osten kommend durch unsere Stadt. Man sah auf der einen Straßenseite flüchtende Menschen und auf der anderen Seite an die Front nachrückende Soldaten. Es war ein trostloses Bild, das man nicht vergessen wird.

Wir Mädchen wurden zu Einsätzen auf dem Bahnhof eingeteilt, denn die meisten Flüchtlingszüge aus dem Osten durchfuhren unsere Stadt. Wir waren mit großen Kübeln voll heißer Getränke zur Stelle und füllten die aus dem Zug gereichten Gefäße. Die Menschen waren meist schon Stunden unterwegs und sehr dankbar für ein wärmendes Getränk. Es passierte nicht selten, dass eine Mutter ausstieg, um auf der Bahnhofsmission vielleicht etwas für ihre Kinder zu holen und der Zug fuhr in der Zwischenzeit ab. Denn An- und Abfahrtzeiten waren nicht bekannt. Weinend liefen die Mütter dann neben den anfahrenden Zügen her. Wir mussten damals hilflos bei diesem traurigen Geschehen zusehen. Das Ziel der Flüchtlingszüge war in den meisten Fällen nicht bekannt. So sind auf diese Weise viele Familien auf der Flucht getrennt worden.

In den ersten Februartagen des Jahres 1945 errichteten Soldaten und Angehörige des Volkssturms Straßensperren. Die Front rückte näher. Kanonendonner war schon zu hören. Man jagte die Menschen auf die Straße; mit ihrer wenigen Habe, die zum Teil nur in Zeitungspapier eingewickelt war.

Jetzt wurde es auch für uns kritisch, wir wollten nur vor der Front fliehen. Ohne Passierschein durfte aber niemand die Stadt verlassen.
Eilig packten wir zwei Federbetten in einen Leinensack, einen Koffer mit Kleidung voll und zwei Rucksäcke mit den nötigsten warmen Sachen. Die Wäsche und alle noch vorhandene Kleidung, viele Erinnerungsstücke, Schmuck und noch viele, viele Dinge blieben im Schrank. Wenn wir Glück hatten, konnten wir alle gepackten Sachen mitnehmen, die Züge waren doch hoffnungslos überfüllt.

Einige Hausbewohner versuchten noch Eingewecktes und Wertgegenstände in Sicherheit zu bringen. Unser Keller hatte einen Rotsteinfußboden, der aufgestemmt wurde und als Versteck dienen sollte. Viele Leute, so auch meine Mutter, hofften später nach Beendigung des Krieges wieder zurückzukehren, denn die Medien verbreiteten noch immer die Meldung: „Der Sieg ist unser“. Wer allerdings den Feindsender abhörte wurde eines Besseren belehrt. Wehe aber dem, der dabei erwischt wurde, den holte die Gestapo.

Am 9. Februar, es war Nachmittag, wurde unsere Nachbarin von ihrem Chef aufgefordert sofort für sich und ihre Angehörigen eine Ausreisegenehmigung zu beschaffen und innerhalb von zwei Stunden die Stadt zu verlassen. Zum Glück hatte sie für meine Mutter und mich auch eine erhalten. Am Tag zuvor versuchte ich eine Genehmigung zu bekommen, aber sie waren nur Müttern mit Kleinkindern vorbehalten.

Mein Puppenwagen musste uns als Transportmittel herhalten, denn bis zum Bahnhof waren es mindestens 20 Minuten Fußweg. Wir hätten es ohne ihn, mit diesem Gepäck, nicht geschafft, aber in der Not geht ja so vieles. Am Bahnhof angekommen, bat uns eine junge Mutter um den Puppenwagen für ihr Baby. Er wäre sowieso dort stehen geblieben, vielleicht hat er ihr noch gute Dienste getan.

In der Bahnhofshalle standen Wachposten mit Kettenhunden, denn ohne Ausreisegenehmigung durfte niemand die Stadt verlassen. Der Grund dafür war, dass viele Soldaten desertiert waren, die bei dem schon fast verlorenen Krieg nicht noch ihr Leben lassen wollten.

Mit Mühe hatten wir es bis auf den Bahnsteig geschafft. Dass unser Zug, mit dem wir flüchten wollten, noch da stand, war Glück: Denn die Abfahrtszeiten stimmten nicht mehr. Er war hoffnungslos überfüllt von Soldaten und Flüchtlingen. Sie zogen uns regelrecht in den Zug. Mit unserem Gepäck standen wir, wie alle anderen, wie die Ölsardinen. Ein Umfallen war nicht möglich.

Wir waren glücklich als der Zug in Richtung Leipzig abfuhr. Über Berlin zu fahren, war nicht mehr möglich, dort wurde schon gekämpft. Am Nachmittag des 10. Februar war erst einmal Endstation auf dem großen Sackbahnhof Leipzig. Das hieß also aussteigen. Unser weiteres Ziel war Hannover. Das große Problem war jetzt den richtigen Bahnsteig zu finden, man kannte sich ja nicht aus. Meine Mutter passte auf das Gepäck auf und ich musste suchen. Es dauerte sehr lange, sie war schon in Ängsten, wir würden uns verlieren.

Am späten Abend in Hannover angekommen, fuhr leider kein Zug mehr in Richtung Eystrup. Das hieß für uns: Warten bis der nächste Tag anbrach. Auf unserem Gepäck sitzend, haben wir die Nacht in der Bahnhofshalle verbracht. Dass wir nicht stark froren, ist zu erklären: Wir hatten mehrere Kleidungsstücke übereinander angezogen, denn nur so war es möglich ein paar Kleidungsstücke mehr mitzubekommen – der Koffer reichte ja nur für das Allernötigste.

Aber wir hatten es vergleichsweise gut. Große Menschenmassen stapften Tag und Nacht durch den festgetrampelten Schnee, ständig in der Angst von russischen Tieffliegern angegriffen zu werden. Was sich an Grausamkeiten auf der Straße abspielte war erschreckend. Da lagen am Straßenrand umgekippte, halb ausgeplünderte Wagen, tote Pferde, die durch Erschöpfung und Durst gestorben waren, und Menschen, die nicht mehr in der Lage waren nur einen Schritt weiterzugehen.

Am 11. Februar landeten wir dann erschöpft in Eystrup. Mein Onkel holte uns und unsere Habseligkeiten mit Pferd und Wagen ab. Das Schlimmste war, dass wir nur wenig Geld bei uns hatten. Die Bank in Sagan konnte uns nichts mehr geben. Als wir in Bücken ankamen, gaben sie schon im Radio bekannt, dass Sagan in russischer Hand war. Wir waren glücklich der Front entkommen zu sein.

Ich konnte vorübergehend bei meiner Großmutter bleiben und meine Mutter bei ihrer Schwester Liese nebenan. Meine Großmutter hatte schon ihre ältere Tochter mit Familie aufgenommen, die zehn Tage zuvor aus Sagan geflüchtet waren. Daher musste für mich eine Unterkunft und Arbeit gefunden werden. Es fand sich ein Pflichtjahrplatz bei einer Familie. Wir befanden uns noch im Krieg, an eine Berufsausbildung war nicht zu denken.

Mit dem Wenigen was wir retten konnten standen wir, wie alle Flüchtlinge, mittellos da. Ich arbeitete in einem kleinen bis mittleren landwirtschaftlichen Betrieb. Der Familienvater war in russischer Gefangenschaft. Für seine Frau war es nicht so einfach den Betrieb weiter zu führen. Die Schwiegermutter kümmerte sich um den Haushalt, drei Kinder mussten versorgt werden.

Nach Ende des Krieges begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Ich war froh in dem landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten zu können und wurde dort bestens in die Familie aufgenommen. Obwohl ich erst 15 Jahre alt war, gab es von da an kein gemeinsames Zuhause mehr mit meiner Mutter. Jeder musste sehen wie er durchkam, eine Unterkunft und satt zu essen hatte; was damals nicht immer selbstverständlich war.

Der Wunsch eine Berufsausbildung zu machen, war zunichte gemacht. Meine Mutter war Witwe und mit dem verlorenen Krieg erhielt sie keine Pension mehr, also keinen Pfennig Geld. Vor der Währung gab es dürftige Zuteilungen von Lebensmitteln: Pro Person im Monat etwa 425 Gramm Fleisch und 65 Gramm Fett. Während ein halbes Kilo Butter, wenn sie überhaupt aufzutreiben war, im freien Verkauf 250 Reichsmark kostete. In den Großstädten litten Tausende an Hunger. Die Städter strömten aufs Land, um zu hamstern, beziehungsweise zu tauschen, denn Hunger tat weh. Die Züge waren damals durch die Hamsterfahrten hoffnungslos überfüllt. Alles was man zum täglichen Bedarf benötigte war nur unzureichend oder überhaupt nicht zu haben. Auch Zigarettenstummel wurden überall gierig aufgelesen, ganz gleich wo man sie fand.

Am 20. Juni 1948 kam dann die Währung. Jetzt begann für alle ein neuer Anfang. Jetzt gab es in den Geschäften wieder etwas zu kaufen. Meine Mutter erhielt nun erstmals ihre Pension. Sie brauchte ihrer Schwester nicht mehr zur Last fallen.

Ich hatte in der Zwischenzeit eine neue Stelle bei meinem Onkel angenommen. Das Glück währte jedoch nicht lange, mein Onkel verstarb 1949 plötzlich und unerwartet. Nun stand ich ohne Einkommen da, was sehr bedrückend war. Für junge Leute ohne Berufsausbildung bestand hier auf dem Land kaum eine Möglichkeit Geld zu verdienen; nur beim Bauern war es möglich.

Ich habe mich oft gefragt: Warum musste dir das alles auferlegt werden? So früh den Vater verloren, die Heimat verloren, die elterliche Geborgenheit und dazu die fehlende Berufsausbildung – zumal ich gute Schulzeugnisse aufweisen konnte. Das Schicksal geht oft seltene Wege und jeder hat im Leben sein Päckchen zu tragen, doch nicht jedes ist gleich schwer.

 

Lisbeth ist 14, als ihre Eltern die Fluchtpläne fassen. Erst taucht der Vater unter. Über Helfer gelangt die Familie nach West-Berlin. Monate später treffen sie den Vater in Altena wieder. Geschrieben von der Nichte Tessa Rölert, nacherzählt aus der Sicht von Lisbeth Rüben.

Flucht in den Westen

„Ich war 14, als die Geschichte unserer Fluch beginnt. Mein Vater Paul hat mit uns in Domersleben gelebt. Die Familie bestand zu diesem Zeitpunkt aus fünf Kindern und Mutter Hertha. Meine Geschwister waren Manfred, Udo, Erhard und Gudrun. Gerhild, das sechste Kind, sollte im Juni auf die Welt kommen.

Ich weiß noch, wie sich mein Vater am zweiten Osterfeiertag von uns verabschiedet hat. Er sagte, er fahre zur Arbeit und käme in zwei Tagen wieder. Noch am gleichen Tag erschien die Volkspolizei bei uns zu Hause. Sie wollte meinen Vater abholen. Denn eigentlich war er inhaftiert und nur über die Feiertage daheim. Das war ihm nur gestattet, weil er noch nicht verurteilt worden war. Sie hatten ihn festgenommen, weil er mit seinem Cousin, der für einen Landwirt arbeitete, Dünger gegen weißen Zucker getauscht hatte. Mein Vater war zu der Zeit in der Zuckerfabrik tätig. Doch bezeichnend für die Sitten in der DDR waren sie verraten und eingesperrt worden. Bis auf diese Ostertage, die sie in Freiheit verbringen durften.

Mutti sagte ihnen nur, er sei zur Arbeit gefahren. Aber dass es auch sein könne, dass er bei seiner Geliebten sei – er war ja im Dorf bekannt dafür. Die Volkspolizei ist unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Papa aber kam nicht nach Hause. Nicht nach zwei Tagen und auch nicht nach acht Tagen. Aber da stand die Volkspolizei erneut vor der Tür. Sie hätten ihn gefunden, behaupteten sie gegenüber meiner Mutter. Sie hatte sich schon ziemlich erschrocken und fragte die Beamten nach seiner Kleidung und wo sie ihn denn gefunden hätten. Und als die Polizisten erzählten, war ihr klar, dass sie ihn nicht hatten.

Mein Vater hatte bereits vor seiner Verhaftung gewusst, dass er beobachtet wurde. Wegen eines anderen Vergehens, er galt als Volksfeind, der den Staat schlechtredet. Ein Freund von ihm, der ebenfalls für die Polizei arbeitete, warnte ihn: „Paul, sie haben dich im Blick. Du solltest verschwinden, bevor es zu spät ist.“ Damit erwies er Paul einen großen Dienst, denn natürlich hätte er das niemals tun dürfen. Papa aber war gewarnt – und setzte meine Mutter über die genauen Fluchtpläne in Kenntnis.

Meiner Mutter war also klar, dass die Volkspolizei meinen Vater entgegen deren Behauptungen nicht gefunden hatte. Und nur wenige Tage später erhielt sie die Bestätigung. Teil des Plans war, meine Mutter über Freunde wissen zu lassen, dass er es nach West-Berlin geschafft hatte. Die Freunde, die auch in Domersleben wohnten, haben eine Karte unter anderem Namen von ihm erhalten, mit verschlüsseltem Text. Die Nachricht: Er sei in West-Berlin angekommen, die Familie sollte nun wie besprochen weitermachen.

Doch zunächst musste die Volkspolizei noch einmal getäuscht werden. Sie schauten acht Tage nach ihrem letzten Besuch erneut vorbei und fragten nach Paul. Mutter sagte nur, er habe sich nicht gemeldet und sei nicht mehr aufgetaucht. Nun könne er bleiben, wo der Pfeffer wächst. Mit der anderen Frau.

Meine Mutter ging zu den Ämtern und meldete ihn als verschwunden, um finanzielle Hilfe zu bekommen, denn sie hatte ja für ihre Kinder und sich kein Geld mehr zur Verfügung. Nur wenig später sind wir aber, weil das Geld nicht reichte, zu meiner Oma gezogen, die auch in Domersleben wohnte. Sie hatte ein eigenes kleines Arbeiterhäuschen.

Meine Mutter hatte währenddessen mit Freunden aus Magdeburg die Pläne gemacht. Als im Juli die Ferien anfingen, fuhren Udo und Manfred zu Onkel und Tante, um dort „Urlaub“ zu machen. Später, an meinem Geburtstag im August, bin ich mit meinen Geschwistern Gudrun und Erhard, sie waren drei und vier Jahre alt und ich war gerade 15, ebenfalls zu ihnen gefahren. Ich weiß noch, wie ich das letzte Mal den Marktplatz aus dem Bus heraus gesehen habe, meine Freunde winkten zum Abschied, rechneten damit, dass wir uns nach den Ferien wiedersahen, denn ich habe nichts verraten. Das war zu gefährlich, doch ich wusste ja, dass ich nicht zurückkommen würde.

Onkel und Tante haben uns mit dem Zug und der S-Bahn nach West-Berlin gebracht. Wir kamen zunächst in ein Kinderheim, denn unsere Mutter mit meiner gerade geborenen Schwester war noch in Domersleben geblieben. Sie wurden von unserem Onkel abgeholt und hatten es ebenfalls mit dem Zug über die Grenze geschafft. Eine Schaffnerin hatte ihr ihre Pläne angesehen und ihr geholfen, da sie unsicher war, wie sie nach West-Berlin kam. Sie sagte zu ihr: „Ich weiß, wo Sie hinwollen. Ich bin in 14 Tagen ebenfalls dort. Ich sage Ihnen, wo Sie aussteigen müssen.“

Als sie dann im Kinderheim Spandau auftauchte, war das eine Riesenerleichterung.

Von da an haben wir wieder Kontakt zum Vater herstellen können, der bereits eine Arbeit in Altena im Sauerland bekommen hatte. Über Hannover und Unna-Massen kamen wir viele Monate später im Dezember ebenfalls dort an.

In den Auffanglagern wurden die Familien immer getrennt. Manfred und Udo mussten zu den Männern, die mit 25 Mann in einem Raum geschlafen haben. Auch in Unna-Massen und Altena waren wir in Flüchtlingslagern untergebracht.

Doch als wir mit dem Vater vereint waren, sind wir im Winter 1953 in die erste Baracke gezogen, im Steinbruch. Sie war einwandig – im Winter blühten innen die Eisblumen am Fenster, so kalt war es. 1958 sind wir in eine andere Baracke gezogen, die hatte dann sogar schon eine Doppelwand – das war schon Komfort. Im Sommer 1959 sind wir schließlich in die neu gebauten Flüchtlingswohnungen umgesiedelt.

Auf unserer Flucht konnten wir auf zuverlässige Hilfe zählen: Onkel und Tante, die uns über die Grenze geholfen hatten, waren gar nicht mit uns verwandt – mein Vater hatte sie einst bei uns im Dorf aufgegriffen, sie waren extrem abgemagert. Er nahm sie einfach so mit nach Hause, weil er der Meinung war, sie bräuchten erst einmal etwas Anständiges zu essen. Sie stammten aus Berlin und kamen zum Hamstern aufs Land. Es entstand eine sehr gute Freundschaft zwischen dem Paar und unserer Familie – und einige Jahre später waren sie unsere Fluchthelfer.

West-Berlin war von Anfang an unser Ziel. Man kam ja anders nicht mehr hinaus. Es haben noch viele probiert, über die grünen Grenzen zu flüchten, doch die haben sie größtenteils geschnappt, weil sie verraten worden sind. Die Fluchthelfer haben oft Geld kassiert und die Leute trotzdem verpfiffen. Die Mütter, die sie geschnappt haben, sind mit den Kindern ins Gefängnis gekommen, die Kinder wurden dann zur Zwangsadoption freigegeben. Viele wissen ja gar nicht, wer ihre Eltern sind und uns wäre das auch passiert, wenn sie uns erwischt hätten. Ich glaube nicht, dass wir Mama und Papa dann wiedergesehen hätten.

Woran ich mich besonders gut erinnern kann, ist ein Augenblick, als wir schon eine Weile in Altena gelebt hatten. Um die Ecke gab es einen Lebensmittelhändler. Unsere Fluchthelfer hatten uns, bevor die Mauer gebaut wurde, besucht und ihre kleine Tochter war ganz aufgeregt, als sie die Apfelsinen beim Lebensmittelhändler erblickte und drängte ihre Eltern, schnell welche zu kaufen. Da sagte meine Mutter jedoch: „Mach dir keine Sorgen, die gibt es morgen auch noch.“ Etwas, das die Kleine einfach nicht verstehen wollte. Denn aus der DDR kannte man so etwas nicht.

 

Mit dem 5. Januar 1945 ändert sich das Leben von Marie für immer. Sie flüchtet mit fünf Kindern und ihrer Schwiegermutter. Auf der Flucht erfährt sie sehr viel Leid. Doch eins ist ihr immer am wichtigsten: Ihre Kinder sollen überleben. Geschrieben von der Urenkelin Jessie Matten, nacherzählt aus der Sicht von Marie.

Fluchtgeschichte meiner Uroma Marie

Meine Erlebnisse auf der Flucht werde ich niemals vergessen. Die Geschehnisse haben mein Leben für immer geprägt. Mein Mann Karl wurde 1940 in den Krieg einberufen. Ich war, als die Flucht am 5. Januar 1945 losging, alleine mit meinen Kindern und meiner Schwiegermutter. Fritz sieben Monate, Achim acht Jahre alt, Gerda sieben Jahre, Karl fünf und Erika knapp drei Jahre alt. Wir lebten in Jakobsdorf, einem Ort in Oberschlesien. Ich betrieb einen Hof mit vielen Tieren und polnischen Fremdarbeitern. Zu ihnen war ich immer sehr gut. Sie durften unter anderem an meinem Tisch mitessen, was damals nicht üblich war. Es gab bereits vor der Flucht Angst und Ungewissheit, denn die Front rückte immer näher.

Der Ortsgruppenführer  war in der NSDAP. Er hatte das Kommando im Ort und versuchte die Stimmung niederzudrücken. Er selbst hatte aber bereits seine Sachen heimlich gepackt. Er sagte, wir sollten unser Leben normal weiterführen und uns nicht beirren lassen. Am 5. Januar 1945, früh um 9 (Uhr) ließ der Ortsgruppenführer verkünden, wer von der Flucht spricht, wird erschossen. Und um 11(Uhr) kamen seine Leute und sagten, man müsse doch heute flüchten. Der Flüchtlingstreck solle um halb eins bereit stehen. Wir waren wie vor den Kopf gestoßen und mussten in Windeseile alles Notwendige zusammenpacken.

Da ich gut zu meinen polnischen Fremdarbeitern war, war mir einer von ihnen eine besondere Hilfe. Mein Mann war nicht da und meine Schwiegermutter war eher eine Last, anstatt eine(r) Hilfe. Sie wollte nicht mit, half nicht und kam zum Schluss nur mit einer Handtasche, die sie mitnehmen wollte. Ohne meinen Fremdarbeiter hätte ich es nicht geschafft, mit den fünf Kindern alles schnell zu packen. Mein Fremdarbeiter half mit den Pferdefuhrwagen zu beladen. Meine zwei Pferde und zwei Fohlen kamen ebenfalls mit. Ich griff mir alles, was ich auf die Schnelle finden konnte: Den Kinderwagen von Fritz, warme Decken, Bettzeug, Proviant, Kleidung und Papiere. Mein Glück war, dass ich eine Woche vorher 4.000 Reichsmark geholt hatte, denn ich wollte mir davon eigentlich ein Auto kaufen. Wir sollten unser Leben ja normal weiterführen. Das Geld steckte ich in den Schulranzen meines Sohnes, denn der wurde nicht kontrolliert. Ich bekam für meinen Pferdefuhrwagen einen Kutscher zugewiesen. Dieser bestand darauf, die warme Decke und die Fellsäcke für sich zu nehmen. Es herrschten minus 20 Grad und es war ihm egal, ob es die Kinder warm genug hatten. Für mich waren meine Kinder immer das Wichtigste.

Um halb eins ging die Flucht dann im Flüchtlingstreck los. Die Route ging über das Riesengebirge ins Sudetenland. Die Leute flüchteten mit Pferdefuhrwerken, per Handwagen und die reicheren Bewohner hatten ihre Traktoren dabei.

Der Flüchtlingsleiter war der Gutsbesitzer von Richthofen, der mit Traktor, seiner ganzen Familie und seinen Untergebenen mitkam. Wir flüchteten mit circa 400 Menschen. Es war ein sehr beschwerlicher Weg mit vielen schrecklichen Momenten. Es gab Eis, Schnee, Glätte und nachts waren es minus 20 Grad.

Unter dem Flüchtlingstreck war meine 17- jährige Cousine. Sie versuchte mir während der Flucht so gut es ging zu helfen. Sie rannte dem Flüchtlingstreck immer voraus, bevor wir in einen neuen Ort kamen. Meine Cousine ist dann schnell zu den Bauernhöfen und hat versucht Milch, Butter, Brot oder andere Lebensmittel für uns zu besorgen. Denn wenn wir als Masse in die Orte kamen, wurden wir nicht willkommen geheißen. Sofort wurden die Türen und Fenster geschlossen. Nachts übernachteten wir eng nebeneinander in leerstehenden Scheunen.

Der Flüchtlingstreck kam bei der Kälte nur mühevoll vorwärts. In Oberschlesien war flaches Land und dafür waren unsere Fahrzeuge ausgelegt. Sie hatten alle schlechte Bremsen, was im Riesengebirge sehr fatal war. Das Bremsen bei der Eisglätte war so gut wie unmöglich. Die Leute versuchten mit Stangen die Räder zu bremsen, wenn es bergab ging.

Es ereignete sich ein schlimmer Unfall bei uns: Der Gutsbesitzer, also der Flüchtlingsleiter, verunglückte mit der Dorflehrerin tödlich. Außerdem gab es mehrere Verletze. Zwei Anhänger stellten sich bei der Abfahrt quer und der Traktor wurde in den Abgrund gezogen. Daraufhin wurde der Flüchtlingstreck erstmal gestoppt und wir wurden mit dem Zug nach Prag transportiert. Als wir dort ankamen, erlebte ich einen Bombenangriff auf dem Bahnhof mit. Das machte die Weiterfahrt unmöglich und der Treck wurde in den Raum von Saatz, ins Sudetenland, geschickt. Wir sollten Knechtdienste bei den Sudetendeutschen leisten. Meine Familie und ich kamen bei einer Bauernfamilie unter. Dort wurde ich als Köchin eingestellt, da ich gut kochen konnte. Das Sudetenland sollte für sechs Wochen unser Quartier sein. Ich war wirklich froh, dass wir eine Unterkunft und Nahrung für die Familie bekamen. Meiner Tochter Erika ging es aber immer schlechter. Ich hatte für die Kinder extra einen Nachttopf für die Flucht eingepackt. Als wir auf der Flucht einmal in einer Scheune übernachteten, nahm sich jemand anderes einfach den Topf und leerte diesen nicht aus. Als Erika dann im Dunkeln auf Toilette musste, sah sie nicht, dass dieser voll war und goss sich alles über das Kleid. Es war minus 20 Grad und sie legte sich mit der nassen Kleidung auf ihr Lager. Erika holte sich eine Lungenentzündung und konnte sich nie wieder davon erholen. In Saatz musste ich meine Kleine beerdigen. Der Arzt füllte mir den Totenschein aus und sah dann den kleinen Fritz. Er sah mich an und meinte, dieses Kind könne ich im Sarg gleich daneben legen. Noch ein Kind beerdigen? Aber mein Fritz war stark und konnte sich zum Glück wieder erholen. Ich hätte es auch nicht ertragen, noch ein Kind zu Grabe zu tragen.

Aber die Zeiten wurden nicht besser. Die Front rückte immer näher und mein Leiden sollte noch schlimmer werden. Durch die Bombenangriffe waren die Gefängnisse teilweise beschädigt worden und die Gefangenen konnten fliehen. Es waren viele Verbrecher unterwegs und die tschechischen Polizisten wollten diese wieder einfangen. Aus diesem Grund wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Als die Tschechen zu uns kamen, musste ich ihnen die Räume und den Dachboden zeigen. Ich hätte nicht alleine mit ihnen auf den Boden gehen sollen. Denn als ich ihnen diesen zeigte, nutzten sie die Gelegenheit und vergewaltigten mich. Mit diesem Erlebnis kam ich nie zurecht.

Meine Schwiegermutter machte mir nur Vorwürfe, was mir noch mehr zusetzte. Ich war am Ende meiner Kräfte. Ich hatte mein Kind verloren, mein Sohn Fritz war schwer krank, ich wusste nicht, ob es meinem Mann gut geht und wurde nun auch noch vergewaltigt. Ich wusste keinen Ausweg mehr. Ich ging auf den Dachboden, mit dem Strick in der Hand. Ich wollte gerade den Strick um meinen Hals legen, als Fritz plötzlich unten ganz laut schrie. Ich dachte nach und ging nach unten. Ich nahm meinen Jüngsten in den Arm und er wurde still. Mir wurde klar, dass ich am Leben bleiben musste. Für meine Kinder. Damit sie eine Hoffnung auf ein neues Leben hatten. Das Geschrei meines Sohnes holte mich in das Leben zurück.

Die Vergewaltigung hinterließ aber noch andere Folgen. Ich wurde schwanger. Ein deutscher Arzt war bei den Sudetendeutschen und musste das gleiche mit seiner Frau durchmachen. Er musste zusehen, wie seine eigene Frau vergewaltigt wurde. Aus diesem Grund half er mir und anderen Flüchtlingsfrauen das Kind abzutreiben.

Als die sechs Wochen in Saatz um waren, bewegte sich der Flüchtlingstreck in Richtung Deutschland. Der Tscheche, bei dem wir untergekommen waren, bot uns an, noch länger dort zu bleiben, bis die Lage sich normalisiert habe. In Deutschland waren die Lager nämlich überfüllt und voller Krankheiten. Aber ich wollte unbedingt nach Deutschland, denn ich hatte Post vom deutschen Roten Kreuz bekommen, dass mein Mann am Leben sei und sich nach der Kriegsgefangenschaft im Raum Görlitz aufhalten würde. Ich wollte ihn unbedingt wiedersehen.

Mit dem Zug kamen wir nach Görlitz. Und nach all den Jahren und schrecklichen Erlebnissen konnten meine Kinder und ich unseren Mann und Vater wieder in die Arme schließen.

In Herwigsdorf wurden wir einer Bauernfamilie zugeordnet. Dort bekamen wir zwei Zimmer mit Strohmatratzen – und vielen Ratten. Beliebt waren wir Flüchtlinge auch hier in Herwigsdorf nicht. Wir waren nur Belastung. Wir hatten kein Vermögen. Wir hatten ja gar nichts.

Durch die Bodenreform bekamen wir sechs Hektar Land zugewiesen. 1950 bekamen wir die Chance für einen Hausbau. Ab da konnten wir endlich ein neues Leben beginnen.

Auf der Flucht waren meine Kinder immer die größte Angst für mich. Dass sie es nicht schaffen würden. Auch, dass ich meinen Mann nie wiedersehen würde. Ich hatte immer Angst vor der Zukunft, weil ich nicht wusste, wie es weitergehen wird. Ich habe vieles auf der Flucht gelernt und vieles durchgemacht. Ehemalige Freunde wurden zu Fremden. Ich habe das Vertrauen in die Menschen verloren, da meine Gutgläubigkeit auf der Flucht mehrmals ausgenutzt wurde. Auf der Flucht lernte ich die Menschen wirklich kennen. Damit habe ich mein gesamtes Leben zu kämpfen gehabt. Ich vergaß nie was mir alles angetan wurde.

 

Die Geschichte einer Flucht aus Syrien beschreibt die nervenaufreibende Reise eines jungen Flüchtlings nach Deutschland im Jahr 2014. Ohne Familie, ohne Freunde und ohne Geld macht er sich auf eine einmonatige Reise ins Ungewisse – ohne Ziel und mit der ständigen Angst es nicht zu schaffen.

Die Geschichte einer Flucht aus Syrien

Von Mariama Nehls

„Ich bin jetzt da“, schreibe ich meinem Interviewpartner als ich vor seinem Haus in Wilhelmshaven stehe, in dem er eine kleine Einzimmerwohnung bewohnt. Er kommt die Treppen heruntergelaufen und nimmt mich vor der Haustür in Empfang. Herzlich werde ich umarmt und er bittet mich in seine eigenen vier Wände. „Möchtest du etwas trinken?“, fragt er mich ganz höflich, während wir uns auf sein Sofa setzen. Ich nehme ein Wasser und wir beginnen mit dem Interview. Zunächst noch etwas zurückhaltend erzählt er mir, dass er 20 Jahre alt ist und im 2. Semester Wirtschaft an der Jade Hochschule studiert. Geflohen ist er aus seiner Heimatstadt Homs in Syrien im Jahr 2014. Einen Monat lang war er unterwegs, alleine, denn seine Eltern musste er zurücklassen. Sein Ausdruck in den Augen zeigt mir, wie wehmütig er ist. „Ich vermisse sie sehr, jeden Tag.“, sagt er leise. Dennoch war eine Flucht der einzige Ausweg. In Syrien boten sich dem jungen Flüchtling zwei Möglichkeiten: entweder er  würde Teil der Armee werden und unschuldige Menschen töten oder er selbst müsste sterben. Beides stand für den Syrer nicht zur Debatte. „Deutschland war nicht meine erste Wahl, mir war es einfach wichtig, in Sicherheit zu sein.“, erklärt er.

Aber was bedeutet Sicherheit überhaupt? Ich muss kurz überlegen was ich persönlich darunter verstehe, aber er kommt mir zuvor und  erzählt, dass alles besser ist als das Leben in Syrien. Ein sicheres Land heißt für den jungen Mann ein Land ohne Krieg und mit Zukunftschancen. Ein Land in dem er nicht tagtäglich um sein Leben bangen muss und in dem er Arbeit finden kann. Seine Schilderung klingt logisch, traurig jedoch, dass diese Art von Sicherheit für mich ganz selbstverständlich ist. Ein Leben im Krieg, mit der Angst das Haus zu verlassen und auf die Straße zu gehen, ist für uns hier in Deutschland fast unvorstellbar. Und dann beginnt er von der Flucht zu erzählen, der langen Reise von Syrien bis nach Deutschland. Ausgestattet mit einem kleinen Rucksack gefüllt mit zwei Jogginghosen, einer normalen Hose, zwei T-Shirts und seinen Unterlagen macht er sich aus seiner Heimatstadt Homs mit dem Auto auf den Weg in den Libanon. Drei Stunden dauert die Fahrt, voller Anspannung und  Trauer die Eltern zurück lassen zu müssen, bis er einen Flughafen erreicht. Mit dem Flugzeug geht es weiter in die Türkei und hier beginnt der schlimmste und schwerste Part seiner einmonatigen Reise: die Überfahrt mit einem Boot nach Italien. Diese dauert fünf lange Tage. Zusammen mit 200 anderen Flüchtlingen geht es zusammengepfercht in einem offenen Holzboot über das unruhige Meer. Jeder Passagier darf täglich einen Keks und einen Schluck Wasser zu sich nehmen, alles wird genauestens überwacht. „Ich musste mich ständig übergeben, war dehydriert von den starken Sonnenstrahlen und der wenigen Nahrung die ich zu mir nehmen durfte. Dazu kommt die panische Angst es nicht zu schaffen, nicht zu überleben und auf See zu sterben.“, erzählt er mir aufgewühlt. Aber er hat es geschafft! In Italien angekommen flammt wieder Hoffnung auf. Er war schon so weit gekommen und München – das Ziel seiner Reise – lag in greifbarer Nähe. Den letzten Teil seiner Flucht fährt er mit dem Zug und gelangt schlussendlich in die bayrische Hauptstadt. Am Münchener Hauptbahnhof hat er nur einen Wunsch: er muss seine Eltern erreichen, Ihnen sagen, dass es ihm gut geht, dass er in Deutschland angekommen ist, denn die komplette Zeit seiner Flucht saßen diese zu Hause in Syrien und bangten um sein Leben. „Ich bin in einen Laden am Bahnhof gegangen, um eine SIM Karte für mein Handy zu kaufen. Ich konnte kein einziges Wort Deutsch und mein Englisch war sehr gebrochen.“, erklärt er mir, während er sich eine Zigarette anzündet. Er scheint etwas aufgeregt zu sein, zittert sogar ein wenig, denn was jetzt kommt beschreibt der junge Syrer als emotionalsten Moment seiner Flucht. Nachdem der Ladenbesitzer seine Situation ausnutzt und ihm eine SIM Karte im Wert von 10 Euro für 20 Euro verkauft, kann er endlich seine Familie kontaktieren. „Ich habe geweint, meine Mama hat geweint, es war sehr traurig.“, schildert er wehmütig. Einerseits geprägt von Glück, da er es geschafft hatte und seine Eltern ihn in Sicherheit wussten, andererseits von Trauer, da die Familie sich für lange Zeit nicht sehen würde, beendet er das Gespräch und versucht sich langsam aber sicher am Bahnhof in München zu orientieren.

Wo sollte er jetzt hin? Wie sollte er sich verständigen? Wie würden die Menschen auf ihn reagieren? Überfordert von den vielen neuen Eindrücken, fremden Menschen und einer ihm unbekannten Sprache, findet er dennoch den Weg zu einem Flüchtlingsheim, in dem ihm Zuflucht gewährt wird. Eine weitere Hürde ist gemeistert, doch in München bleibt der junge Syrer nicht lange, denn er wird kurz nach seiner Ankunft in ein Flüchtlingsheim in der Nähe von Osnabrück geschickt. Von dort aus besucht er 6 Monate eine Deutschschule. Aber auch das reicht ihm nicht: täglich setzt er sich nach dem Unterricht mindestens fünf Stunden hin und lernt Deutsch. Angetrieben von seinem starken Willen schafft er es, sich in kürzester Zeit einen passablen Wortschatz zuzulegen und nachdem all seine Papiere übersetzt und geprüft wurden, bewirbt er sich mit Hilfe der Deutschschule an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven. „Die Bewerbung verlief relativ unkompliziert, da ich in Syrien bereits seit meinem 18. Lebensjahr Recht studiert habe. Ich hatte alle Unterlagen dabei und konnte sie für meine Bewerbung nutzen.“, erklärt er mir stolz. Im Wintersemester 2015/2016 ist es dann soweit und der frisch eingeschriebene Student zieht nach Wilhelmshaven, um sein Studium zu beginnen. Er absolviert über das International Office der Hochschule einen Sommer- sowie Winterdeutschkurs und lernt auch jetzt noch täglich zwei bis drei Stunden Deutsch nach seinen Vorlesungen. Seine größte Motivation zum Deutsch lernen beschreibt der junge Syrer wie folgt: „Ich habe mich zu Anfang in der Uni so sehr geschämt, es war mir peinlich, dass mein Deutsch so schlecht ist und mich keiner verstehen konnte. Das wollte ich ändern! Ich möchte nicht faul zu Hause sitzen, sondern etwas für meine Zukunft tun, mich eingliedern und arbeiten.“ Lobenswert denke ich mir! Nach allem, was er während seiner gefährlichen und nervenaufreibenden Flucht aus Syrien durchmachen musste, hat dieser junge Mann keine Zweifel an dem, was erreichen möchte. Auch in der Uni läuft es seit einiger Zeit besser als zu Anfang: Wenn er etwas in den Vorlesungen nicht versteht, dann kann er nach diesen mit den Professoren reden und gegebenenfalls auch einen Termin machen, um konkrete Dinge nachzufragen.

Im Großen und Ganzen fühlt er sich gut aufgenommen in Deutschland. Im Endeffekt, so sagt er, ist alles besser als in Syrien. Auch wenn er erst seit kurzem hier ist, fühlt es sich an wie eine zweite Heimat. Zwar treten ihm nicht alle Menschen mit  Akzeptanz und Verständnis gegenüber, aber „ist das nicht immer so wenn man neu ist?“, fragt er mich im Gespräch. Er hat Recht! Es ist schwer in einem anderen Land zu sein, in einer anderen Kultur zu leben, aber er bemüht sich. „Natürlich vermisse ich meine Familie jeden Tag. Besonders meine kleine Schwester! Aber das Leben muss weitergehen und ich hoffe, dass meine Eltern eines Tages auch nach Deutschland kommen können.“, erzählt er mir voller Hoffnung. Jetzt möchte er erstmal einen Nebenjob finden, seit einigen Monaten schreibt er schon Bewerbungen, aber leider hat es bisher noch nicht geklappt. Sein Ziel für die Zukunft ist es weiterzukämpfen, mehr Deutsch zu lernen und später einen guten Job zu bekommen. Dabei schmunzelt er, denn sein Leben lang in Wilhelmshaven bleiben möchte er nicht. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich von meinem Glas Wasser noch keinen einzigen Schluck getrunken habe, zu gebannt habe ich seinen Erzählungen gelauscht und seine Flucht am eigenen Körper erlebt. Über eine Stunde ist vergangen, doch es kommt mir vor als säßen wir erst wenige Minuten zusammen. Ich verabschiede mich von ihm, fühle mich irgendwie wie in einer Parallelwelt, und wir verabreden uns demnächst auf einen Tee.

 

Margarete und Gerhard sind jung und frisch verheiratet, als die Bürger der DDR immer unzufriedener werden. Auch die beiden wollen ein anderes Leben. Sie flüchten aus Thüringen in den Süden Niedersachsens. Doch der Neuanfang ist schwer. – Geschrieben vom Enkel Sebastian von Hacht. Nacherzählt aus der Sicht von Margarete und Gerhard Dietl.

Flucht aus der DDR im September 1955

„Wir sind nun schon seit 61 Jahren verheiratet. Haben fast unser ganzes Leben miteinander verbracht. Alles erlebt, was man in einer so langen Ehe nur erleben kann. Doch wir haben auch etwas erlebt, was in der heutigen Zeit meist nur aus Erzählungen bekannt ist: eine Flucht.

Aufgewachsen sind wir im östlichen Teil Deutschlands, in Thüringen. Geboren Anfang der 30er-Jahre, haben wir als Kinder den zweiten Weltkrieg miterlebt und uns in den Nachkriegsjahren kennengelernt. Am 24. Juli 1954 heirateten wir.

Die DDR existierte zu diesem Zeitpunkt schon rund fünf Jahre. Die Unzufriedenheit über den neuen Staat und seine Regierung wuchs bereits. Besonders junge Bürger der DDR wünschten sich ein besseres und chancenreicheres Leben. Der Vergleich mit der Bundesrepublik schürte den Unmut.

Auch wir waren  jung und stellten uns unsere Zukunft anders vor. In unserem ersten Ehejahr spielten wir immer öfter mit dem Gedanken nach einem Leben im Westen. Im September 1955 setzten wir unsere Pläne in die Tat um: Unter dem Vorwand nur eine zweite, längere Hochzeitsreise zu unternehmen und eine Silberhochzeit zu besuchen, beantragten wir eine vorübergehende Ausreise in den Westen.

Obwohl wir nicht vorhatten wiederzukommen, nahmen wir nur so viel mit, wie es für eine solche Reise üblich war. Es sollte ja niemand misstrauisch werden. Wir haben sehr viel zurückgelassen, aber anders war es nicht möglich. Alle wichtigen Dokumente, wie zum Beispiel Ausbildungspapiere, nahmen wir aber mit, damit wir im Westen auch ein neues Leben beginnen konnten. Unseren Familien verschwiegen wir unser Vorhaben, da eine erfolgreiche Flucht sonst in Gefahr geraten wäre.

Die Fluchtroute führte uns zunächst von unserem Heimatort Ingersleben in den Nachbarort Neudietendorf. Dort stiegen wir in den Zug Richtung „Neues Leben“. Während der Fahrt wurden immer wieder unsere Pässe kontrolliert und unsere Koffer durchsucht. Da sind wir natürlich nervös geworden. Aber es ging alles gut. Von Erfurt aus, fuhr der Zug direkt nach Westdeutschland. In Göttingen betraten wir erstmals BRD-Gebiet. Von dort fuhren wir ins 20 Kilometer entfernte Northeim. Ziel unserer Reise war das zu Northeim gehörende Dorf Sudheim.

Während der Fahrt in den Westen waren wir etwas angespannt. Auch wenn wir ja alles richtig beantragt hatten, hätte bei den Kontrollen etwas schief laufen können. Es war eine Erleichterung als wir hier dann endlich ankamen und herzlich von unserer Verwandtschaft aufgenommen wurden.

Wir entschieden uns gegen ein Erstaufnahmelager, obwohl wir uns dadurch eine Unterstützung durch den Staat entgehen ließen. Im Vergleich zu anderen Geflohenen hatten wir gleich jemanden, der uns aufgenommen hat. Wir mussten nicht erst zwingend den mühsamen Weg über ein Erstaufnahmelager gehen.

Vier Wochen nach unserer Ankunft im Westen, liefen unsere Pässe ab. Die Zeit für eine kurze Reise, die wir als Vorwand angegeben hatten, war vorüber. In der BRD war es für uns als ausgereiste DDR-Bürger überraschenderweise aber dann überhaupt kein Problem unsere Übergangspässe gegen richtige, unbegrenzte Pässe einzutauschen. Ein großes Glück, dass die Behörden in dieser Zeit so entgegenkommend waren.

Der Start in unser unbekanntes, neues Leben begann gut: Nach nur wenigen Wochen fanden wir beide sofort Arbeit in unseren gelernten Berufen als Verkäuferin und Zimmermann. Eine geeignete Unterkunft zu finden, war für uns hingegen problematisch. Wegen einer großen, neuen Schuhfabrik am Dorfrand waren alle Häuser reserviert. Wir kamen aber dennoch unter. Zunächst waren wir für drei Wochen bei Verwandten, danach für etwa einen Monat bei einer fremden Familie. Natürlich waren unsere Unterkünfte nicht gerade geräumig oder gut ausgestattet. Mehr als ein Zimmer mit einem kleinen Sofa oder einem einfachen Bett, das vorübergehend ausreichte, hatten wir nicht.

Im November 1955 hatte die lange Zeit des Übergangwohnens ein Ende. In der Landwehrschenke zwischen Sudheim und Northeim fanden wir eine erste, eigene Wohnung im Westen. Zwar war auch dies nur eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung, doch auf jeden Fall ein großer Schritt für uns. Wir waren froh endlich auch wieder mehr zur Ruhe kommen zu können.

In den folgenden Monaten lebten wir uns immer besser in unserer neuen Heimat ein. Etwa ein Jahr nach der Flucht kam im November 1956 unser Sohn Michael zur Welt. Kurz nach der Geburt sind wir dann wieder in den Dorfkern nach Sudheim gezogen, auf einen großen Hof mit mehreren Familien. Dort blieben wir für längere Zeit.

Im November 1963 kam unsere Tochter Martina zur Welt, die unsere Familie komplett machte. Im Februar 1975 zogen wir schließlich in ein Fachwerkhaus mit großem Garten. Dieses Haus wurde unser echtes Zuhause hier im Westen und dort sind wir bis heute geblieben.

Rückblickend sehen wir unsere Fluchterlebnisse positiv. Wir hatten nicht wirklich die großen Probleme, die andere hatten. Unsere Rettung waren unsere Verwandten. Dennoch war es natürlich nicht leicht, sich einfach so eine neue Existenz aufzubauen. Die Vorstellung von einem Paradies im Westen, die viele DDR-Bürger hatten, erfüllte sich für uns erst nicht. Doch wir waren auch realistisch und sind nicht mit hohen Erwartungen geflohen. In der Anfangszeit hatten wir nicht viel Geld und sind mit dem Handwagen in den Wald gegangen, um Holz zu holen. Wir haben viel gebacken und gekocht und haben das Beste aus dem gemacht, was wir hatten.

Dass wir unsere Familien in der DDR einfach so zurückgelassen hatten, war bei unseren Eltern und Geschwistern im Osten zunächst auf Unmut gestoßen. Sie waren böse auf uns. Aber mit etwas Abstand haben sie es verstanden und ihre Zustimmung gegeben. Auch für uns selbst war dieser Schritt nicht so einfach. Man war fremd hier im Westen. Irgendwie war es nicht so herzlich wie drüben. Dazu kam, dass wir uns nicht richtig verabschieden konnten, da kommt natürlich erstmal Heimweh auf.

Wir haben Sudheim als unser neues Zuhause durch unsere Arbeit kennen und schätzen gelernt. Früher war die Dorfgemeinschaft viel stärker als heute. Da hat man schnell Bekannte gefunden. Wir haben uns alles selbst erarbeitet, und das ganz ohne die Unterstützung unserer Eltern.

Wenn wir die Bilder der aktuellen Flüchtlingswelle im Fernsehen sehen, dann können wir uns gut in die Flüchtlinge von heute hineinversetzen. Die armen Menschen wollen doch auch nur ein schönes Leben haben. Wir sind damals zwar nicht vor dem Krieg geflohen und hatten es wesentlich besser als die Flüchtlinge heute. Aber Menschen auf der Flucht wollen immer dasselbe: Ein besseres Leben. Auch wenn wir nie wieder zurückgehen würden, bleibt für uns der Osten immer noch unsere Heimat. Egal wo man hingeht. Da wo man herkommt, das bleibt immer Heimat.“

 

 

Aus Schlesien über Tschechien bis ins münsterländische Billerbeck: Nach Ende des Zweiten Weltkrieges entscheidet sich die Familie des damals 16-jährigen Richard zur Flucht. Es beginnt ein Aufbruch ohne festes Ziel und eine Suche nach Heimat. Geschrieben von Marie Bockholt, nacherzählt aus der Sicht von Richard Wolf.

Flucht aus Friedersdorf in Schlesien im Jahr 1946

„Eins vorweg: Ich habe vieles vergessen, einige Erinnerungen mehr und andere weniger gut behalten, aber an die Ereignisse um den 9. Mai 1945 erinnere ich mich noch genau.

Es war für alle der erste Tag nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Für uns war es außerdem der Tag, an dem die Russen zu uns kamen. Zu uns, damit ist Friedersdorf gemeint; ein kleines Städtchen in Schlesien. Gelegen ist es in der Grafschaft Glatz, nur unweit von der tschechischen Grenze entfernt. Hier habe ich im Sommer direkt bei den Steinbrüchen nach Blaubeeren gesucht, im Winter auf Skiern die Gegend erkundet und in unserem Geschäft meine Ausbildung zum Bäcker begonnen. Ich war ein fröhliches Kind.

Aber zurück zum 9. Mai: Den gesamten Tag über war es in Friedersdorf ruhig geblieben. Gegen Abend standen meine Eltern, mein Nachbar und ich – ich war damals 15 Jahre alt – auf dem Berg hinter unserem Haus. Es war schon dunkel als wir Motorengeräusche hörten. Die Russen kamen als Kriegsgewinner nach Friedersdorf. In kleinen Trupps durchsuchten sie jedes Anwesen der Stadt. Als sie zu uns ins Haus gelangten, saßen wir verängstigt in der Küche. Sie machten uns klar, dass einige Soldaten zum Schlafen ins Haus kommen würden. Wir blieben noch lange wach in dieser Nacht, es kam aber niemand mehr.

Am nächsten Tag zog eine große Kolonne mit Pferdewagen durch das Dorf. Als sie unsere Bäckerei sahen, kamen einige Soldaten herein. Jeder nahm sich ein Brot und in kurzer Zeit waren 70 frische Brote in das Eigentum der Russen übergegangen. Ärgerlich sagte mein Vater: „Nu jo, die hon halt a Krieg gewonna.“. Einige Minuten später passierte etwas Unerwartetes: Die Russen kamen zurück, knurrten unverständliche Worte und legten die Brote zurück auf die Ladentheke. Nur einige wenige fehlten.

Meine ersten Begegnungen mit den Russen passten so ganz und gar nicht zu dem Bild, das uns zuvor in Radio, Zeitung und Wochenschau propagiert worden war. Doch das sollte sich schon bald ändern. Zwar ließen sie sich in den folgenden Wochen nur selten in Friedersdorf blicken, wenn aber, dann herrschte Angst. Vor allem auf die Frauen und Mädchen hatten sie es abgesehen. Auch einige Männer wurden von russischen Soldaten mitgenommen – wir sahen sie nie wieder.

Nach den Russen kamen die Polen nach Friedersdorf. Sie plünderten und gaben uns Deutschen weiße Armbinden, welche wir als Erkennungszeichen tragen mussten. Wenn ihnen ein Haus gefiel, gingen sie hinein und erklärten, dass es nun ihnen gehöre. Dann brachten sie auf dem Dach die polnische Fahne an. Für uns gab es immer weniger Besitz, immer weniger zu essen.

So beschlossen wir im Jahr 1946 zu fliehen. Wir vergruben unser gesamtes übriggebliebenes Silberbesteck im Garten, hinter dem Haus, direkt am Fuß des kleinen Hügels. Und wenn wir wieder zurück in der Heimat wären, dann würden wir unsere kleinen Reichtümer wieder ausgraben. So dachten wir uns das.

Wir verließen das Haus, den Hof und unser ganzes bisheriges Leben in nur einer Nacht. Mir war nicht klar, dass ich alles nicht mehr so schnell wiedersehen würde. Und ich weiß nicht, ob meinen Eltern bewusst war, dass sie das alles nie mehr wiedersehen würden.

Wir zogen still und heimlich mit insgesamt 50 Leuten aus Friedersdorf. Neben meiner ganzen Familie – meinen Großeltern, meinen Eltern, meinem Bruder – waren all unsere Nachbarn dabei. Darunter viele Kinder. Denen gaben wir Schnuller, einem ein Taschentuch in den Mund, damit uns ihr Weinen nicht verraten würde. Die Nacht war günstig: Die Polen feierten ein Fest – aus einem Grund, an den ich mich nicht mehr erinnere. Auf jeden Fall passten sie wenig auf das auf, was um sie herum geschah. Durch den Wald liefen wir auf die zwölf Kilometer entfernte tschechische Grenze zu. Ich weiß noch, wie einige der älteren Frauen, die nicht mehr so gut zu Fuß waren, den Anschluss verloren. Im Wald setzten sie sich erschöpft auf einen großen Stein und weinten. In unserer Gruppe fiel ihr Fehlen jedoch schnell auf: Einige der Männer eilten zurück und kümmerten sich um sie, sodass wir schließlich alle gemeinsam nach Tschechien gelangten.

Als wir dort ankamen, war es früher Morgen. Wir wurden zunächst entlaust und wohnten anschließend mit 100 anderen Geflüchteten in einer ehemaligen Kaserne. Insgesamt blieben wir vier Jahre dort. Ich arbeitete weiter an meiner Ausbildung als Bäcker. Außerdem lernte ich einige tschechische Worte, ein paar davon kann ich noch heute. Mein Bruder arbeitete in einer Textilfabrik, meine Mutter in einer Eisengießerei. Doch bleiben wollten wir nie. Unser Ziel war Deutschland – vielleicht um ein Stück Heimat wiederzuerlangen, vielleicht, um sich wieder zugehörig zu fühlen, in einem Land, das unsere Sprache sprach.

Nach den vier Jahren folgte für meine Familie also ein erneuter Aufbruch. Angekommen in Deutschland gelangten wir zunächst ins nordrhein-westfälische Siegen. Von dort aus wurden wir als Flüchtlinge weiterverteilt. Eine kleine münsterländische Gemeinde nahm uns auf, genau genommen ein Bauer aus der Bauernschaft Gerleve. Dieser richtete uns seinen ehemaligen Getreidespeicher her und wir zogen ein. In diesem sollten wir für die nächsten drei Jahre wohnen bleiben. Während dieser Zeit absolvierte ich mein letztes Lehrjahr als Bäcker und mein eigenständiges Leben begann.

Bis heute bin ich im Münsterland geblieben. Hier bin ich erst Ehemann geworden, dann Vater, dann Großvater. Hier eröffnete ich meine eigene Bäckerei.

Heute bin ich 85 Jahre alt. Ich habe ein Zuhause, ich habe eine Familie und Enkelkinder. Ich bin fröhlich. Aber wenn ich an Heimat denke, dann denke ich an Friedersdorf. Meine Heimat wurde mir weggenommen.“